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WS 1997/98

Mittwoch, 17. Dezember 1997


Anregungen zu einer »Hochschulreform '98«

(Entwurf der HRG-AGs an der WWU)


Die heutige Lage der Hochschulen resultiert für uns unter anderem aus drei Mißständen:

1. den seit Jahren unsicheren und ungenügenden finanziellen Rahmenbedingungen, die zu immer neuen Versuchen geführt haben, wenigstens das Bestehende bürokratisch abzusichern; das hinderte daran, die Hochschule permanent auf ihre Funktionstüchtigkeit und Entwicklungsfähigkeit hin zu prüfen;

2. den bürokratischen und aus einer bisher schlecht funktionierenden Selbstverwaltung resultierenden Hemmnissen innerhalb jeder Gruppe wie auch zwischen allen Gruppen der Gruppenuniversität;

3. der Verminderung der Bildung zu einer Ausbildung nach zunehmend ökonomischen Maßstäben.

Diese und weitere Mißstände gilt es zu beseitigen. Zur Reform des Hochschulwesens wäre eine sinnvolle und von den Betroffenen getragene Novellierung des Hochschulrahmengesetzes ein erster Schritt in die richtige Richtung. Die einjährige Aussetzung der Novellierung, wie sie von der Uni-Vollversammlung der Westfälischen Wilhelms-Universität am 9. Dezember 1997 als Forderung aufgenommen wurde, könnte den notwendigen Diskussionsrahmen dafür schaffen. Gleichzeitig ist die innere Reform der Hochschulstrukturen und der Studieninhalte notwendig. Solche Reformen sind nur zu gestalten, wenn die hochschulinternen Konflikte offen ausgetragen werden. Dazu bedarf es des verantwortungsvollen und gleichberechtigten Handelns der Hochschulangehörigen und ihrer inhaltlichen wie handelnden Kompetenz.

Die «Hochschulreform '98ö müßte sich als sofort und mittelfristig zu konzipierendes Projekt verstehen, das im wesentlichen von den Hochschulen getragen wird. Es folgt weder dem heute Ton angebenden ökonomischen Aktionismus noch dem bis vor kurzem dominierenden Aussitzen aller Reform-anstrengungen. Es versucht einen Weg zu finden zwischen außeruniversitär bestimmten und ausschließlich inneruniversitär konzipierten Reformbemühungen, indem es den Zusammenhang von Forschung, Lehre und berufsbezogener Praxis aus der Sicht der Hochschulen und aus deren besonderer gesellschaftlicher Verantwortung begreift. Das erfordert eine sinnvolle, an Inhalten orientierte Gremienarbeit, in der sich alle Gruppen der Gruppenuniversität für die Ideenfindungs- und Entscheidungsprozesse einbringen müssen.


Der derzeit vorliegende Kabinettsentwurf zum Hochschulrahmengesetz ist gekennzeichnet durch:

· eine Demokratie gefährdende Deregulierung (z.B. Struktur der Selbstverwaltung: Streichung der §§ 38-40, §§ 60-69 HRG und Veränderung des § 37 im HRG-Entwurf), die an vielen Stellen in ökonomische Eigendynamik und administrative Reglementierung mündet (z.B. in den §§ 5 und 6 im HRG-Entwurf und in Verbindung damit die Streichung des § 4 des HRG im HRG-Entwurf; darüber hinaus Veränderung der §§ 11 und 19);

· die fortbestehende Vernachlässigung studentischer Interessen (z.B. keine garantierte verfaßte Studierendenschaft: siehe § 41);

· die Reduzierung auf eine funktionalisierte Bildung (z.B. verkürzte Studiengänge: siehe § 19 HRG-Entwurf);

· die Orientierung an der rein wirtschaftlichen Effizienz und die entsprechende Einflußnahme auf die Hochschulen, ihre Forschung, Lehre und Praxis (z.B. leistungsorientierte Finanzierung: siehe § 5 HRG-Entwurf; Pflichtberatung: siehe § 14 HRG-Entwurf).

Dies bildet nicht den Rahmen für eine sozial gerechte, Mitbestimmung und Selbständigkeit fördernde, der Gesellschaft verpflichtete, in ihr verankerte und zugleich selbstverantwortliche Hochschule.


Die wesentlichen Bedingungen zur Schaffung einer so skizzierten Hochschule sind die Gewährleistung einer bedarfsgerechten Ausstattung aller Hochschulen; eine grundlegende Umstrukturierung der Selbstverwaltung unter demokratischen Gesichtspunkten; die Verknüpfung von Gesellschaft und Hochschule; sowie die Umsetzung einer an der forschenden Lehre (Projektarbeit) orientierten, die Selbständigkeit der Studierenden fördernden und herausfordernden Bildung.


Dazu bedarf es insbesondere folgender Voraussetzungen:

· Bundesweit gesetzlich zu verankern ist eine verfaßte Studierendenschaft mit allgemeinpolitischem Mandat (in § 41 HRG). Als Institution innerhalb einer demokratischen Gesellschaft ist die Universität der politischen Grundordnung verbunden: daraus folgt zum einen, daß sie in ihren eigenen Strukturen dem demokratischen Prinzip Folge leisten muß, und zum anderen, daß gerade sie als Ort des freien und kritischen Denkens in die Pflicht genommen wird, das System, seine Geschichte und seine Probleme zu reflektieren und dadurch zur politischen Entscheidungsfindung auf allen Feldern beizutragen. Dabei sind alle Mitglieder der Universität gefordert, ihre Rolle in selbiger nicht von ihren Aufgaben in der Demokratie zu trennen und in der Wahrnehmung dieser Rolle am politischen Leben mitzuwirken.

· Gesetzlich festzuschreiben ist û entgegen der Möglichkeit zur Evaluation û die Möglichkeit für die Studierenden, Lehre und Forschung zu kritisieren; Ziel muß die ständige Reform von Forschung und Lehre sein. Evaluation hingegen schafft tendenziell Reglementierung. Eine rein statistische hochschulinterne und externe Bewertung ist immer ergebnisorientiert, zugleich eindirektional und dabei schnell in der Gefahr, komplexe Fragestellungen auf das Maß des rechnerisch Operablen zu verkürzen. Für die in der Hochschule anstehenden Reformen kommt es jedoch vorrangig darauf an, diskursiv Konzepte der Veränderung zu erarbeiten. Die notwendig enge Verzahnung von konkreter Analyse und Handlungskompetenz kann eher von konstruktiver Kritik geleistet werden.

· Eine bundesweit und ausschließlich formal vorgeschriebene Regelstudienzeit verkennt die inhaltlichen und methodischen Unterschiede und darin die besonderen Zeiterfordernisse der einzelnen Fächer. Dagegen muß eine Studienordnung, die von der Hochschule erarbeitet und vom Land getragen wird, anhand der fachspezifischen Inhalte die Studienzeit so bemessen, daß im Studium die Möglichkeit zur Wahl eigener Schwerpunkte, zur selbständigen Vorbereitung und Vertiefung des Stoffes und zur Teilnahme an selbstgewählten, auch zusätzlichen Lehrveranstaltungen garantiert wird (zu verankern in § 11). Ziel ist, einen selbstverantworteten und wissenschaftlich fundierten Umgang mit dem Fach und dem Beruf zu entwickeln.

· Die angestrebte Regelung mit einer Kontrolle der Studienleistung nach zwei Semestern (§ 14 Satz 3 des HRG-Entwurfs) und einer gegebenenfalls durchzuführenden Studienberatung widerspricht einem selbstverantwortlichen Studium. Notwendig ist eine kompetente und regelmäßig verfügbare fachbezogene und allgemeine Studienberatung sowohl durch die Lehrenden und Tutoren als auch durch entsprechend qualifizierte Verwaltungsangestellte. Voraussetzung dafür ist ein kontinuierlicher und vollständiger Informationsaustausch innerhalb der Hochschule sowie zwischen den Hochschulen, so daß den Studierenden auf freiwilliger Basis ermöglicht wird, den Studienverlauf gezielt zu planen.

· Notwendige, aber keinesfalls hinreichende Bedingungen für die Trägerschaft von Hochschulen ist die Verpflichtung aller Bildungseinrichtungen auf demokratische Strukturen, auf staatlichen Hochschulen äquivalente Zugangsberechtigungen und die Freiheit von Forschung und Lehre.

· Zahlungen der Studierenden für Verwaltung (Gebühren) oder für Lehre und Forschung sind abzulehnen, weil sie eine soziale Selektion der Studierenden und die ideologische Reduktion von Bildung auf eine Ware hervorrufen. Dies ist bundesweit gesetzlich zu verankern.

· Die berufsqualifizierenden Abschlüsse an den Hochschulen sind wissenschaftlicher Art. Die Informationsgesellschaft hat einen Bedarf für derartige Qualifikation. Anstatt Kurzzeitstudiengänge mit berufsqualifizierendem Abschluß (Bachelor wie in § 19 HRG-Entwurf) zu erproben und dementsprechend postgraduale Studiengänge zur wissenschaftlichen Qualifizierung vorzusehen (§ 12 HRG-Entwurf), ist der mit einem gesetzlichen Rahmen zu versehende modulare Aufbau der Studiengänge zu fördern, in dem Teil- und Teilzeitstudien durch Qualifizierungsnachweise auch ohne entsprechenden wissenschaftlichen Abschluß gekennzeichnet werden. Forschung, Lehre und Berufswelt sind dabei als drei Bereiche sinnvoll aufeinander abzustimmen und in der Arbeit der Hochschulen wechselseitig aufeinander zu beziehen.


Was hier in groben Linien skizziert ist, versteht sich als ein erster Zugriff, der den zumeist Einzel-aspekte isolierenden Diskussionen der vergangenen Wochen einen geschlossenen Problemaufriß entgegenstellen will. In einer losen Folge von Artikeln wird dieser Problemaufriß über die kommenden Wochen weiterentwickelt. Es soll ein Bewußtsein dafür entstehen, daß es nicht einfach darum geht, die längst überfällige Hochschulreform nun einfach abzuwickeln, sondern daß es vielmehr darum gehen muß, sie mit neuen Konzepten zu gestalten. Dabei gehen die Beiträge jeweils von einer Kritik des HRG-Entwurfs aus, bleiben dabei aber nicht stehen, sondern versuchen, die umrissene Gegenkonzeption auszugestalten. Die Orientierung an Arbeitsschwerpunkten soll die verschiedenen Bereiche sichtbar machen; zugleich wird jedoch großer Wert darauf gelegt, daß die strukturellen Zusammenhänge sowohl in der Analyse wie auch in den Anregungen nicht vernachlässigt werden. Der Entwurf versteht sich als Anregung zur Diskussion, die im Sinne einer in der Gesellschaft wirkenden Hochschule mit den politischen Entscheidungsträgern und in der Öffentlichkeit geführt werden muß. Nur eine sinnvolle Ergänzung von hochschulinterner Reform und Gesetzesnovelle könnte in diesem Sinne eine qualifizierte gesellschaftsrelevante Bildung gewährleisten.



Die Verfasserinnen und Verfasser:

Dirk Boberg, Stefan Demming, Stephan Geesmann, Tobias Gombert, Gundela Hachmann, Marc Kaulisch, Kirsten Ludwig, Stefan Niehoff, Nils Rosenbohm, Johannes Sabel, Sebastian Schmoranzer, Gert Vonhoff, Thorsten Zumloh.



Dem Papier angeschlossen haben sich: