Projektgruppe Hochschulreform NRW

Positionspapier für eine demokratische, nachhaltige und soziale Hochschulpolitik

                      09. Dezember 1998


Präambel

Das vorliegende »Positionspapier für eine demokratische, nachhaltige und soziale Hochschulpolitik« ist eine umfassende Analyse und Kritik der hochschulpolitischen Situation anhand des Referentenentwurfes zum Landeshochschulgesetz NRW. Es wurde von der »Projektgruppe Hochschulreform NRW« erarbeitet, die sich nach der Lancierung des Entwurfes zusammenfand. Die Projektgruppe ist ein unabhängiger Zusammenschluß von Studierenden und WissenschaftlerInnen, die in verschiedenen Bereichen hochschulpolitisch tätig sind: in den studentischen und akademischen Selbstverwaltungsgremien, in Initiativen, die Hochschulreformprojekte vor Ort initiieren, in politischen Hochschulgruppen, beim BdWi, bei den Jusos, bei Bündnis90/Die Grünen, bei Juso-HSGen und anderen politischen Verbänden. Durch das breite Spektrum an MitarbeiterInnen ergibt sich eine gewollte politische Unabhängigkeit der Projektgruppe. Über den Referentenentwurf des Landes NRW hinaus soll eine vernetzte und möglichst umfassende Hochschulreform skizziert werden. Dabei wird deutlich, daß es sich immer um eine bundespolitische Argumentation handelt. Viele der notwendigen Gestaltungsspielräume bedürfen der Abstimmung mit einem ebenso zu fassenden Hochschulrahmengesetz des Bundes. Zugleich hat aber die Gesetzesnovelle des letzten Jahres die Grenzen der Bundespolitik gezeigt: wo Standpunkte ohne Blick auf regionale Erfordernisse getroffen werden, bleiben sie aufgesetzt und behindern eine notwendige ständige Reform von "unten".

Dementsprechend unterschiedlich präsentieren sich auch die einzelnen Abschnitte des Papiers: Die Bandbreite reicht von sehr konkreten Modellen über generelle Analysen bis hin zu provokanten Utopien.







Projektgruppe Hochschulreform NRW

Kontakt:

Marc Kaulisch

Philippistr. 14

48149 Münster

Tel.: 0251-82439

Fax und AB: 0201-247180-10421

e-mail: hrgwwu@geocities.com


AutorInnen:


Tobias Gombert, Nathalie Güttes,

Sebastian Jobelius, Marc Kaulisch,

Matthias Neis, Richard Ohnsorge,

Jörg Prante, Ramona Pop,

Volker Trox, Gert Vonhoff




Inhaltsverzeichnis

A. Allgemeine Beurteilung 1

A.1 Falsche Perspektiven eines grundsätzlichen Wandels in der Hochschulpolitik 1

A.2 Eindimensionalität der ökonomisierten Bildungspolitik 3

A.3 Annäherung statt Wettbewerb: Kein Abschied von der Gesamthochschule 5

B. Verzahnung von Wissenschaft und Gesellschaft 7

B.1 Die autonome Hochschule in der Demokratie 7

B.2 Das Kuratorium: Bindeglied zwischen Hochschule und Gesellschaft 9

B.3 Wissenstransfer 11

B.4 Weiterbildung 13

B.5 Regionalisierung der Hochschulen 17

C. Hochschulinterne Aspekte 21

C.1 Demokratie in der autonomen Hochschule 21

C.2 Interdisziplinarität 24

C.3 Qualitative Studienreform 25

C.4 Studienabschlüsse 29

C.5 Studienberatung 32

C.6 Durchlässigkeit von Statusgruppen 34

C.7 Chancengleichheit 37

C.8 Hochschulzugang 40

C.9 Frauenförderung/Gleichstellung 42

C.10 Evaluation 44

D. Notwendige Rahmenbedingungen 49

D.1 Hochschulfinanzierung 49

D.2 Verbot von Studiengebühren 51

E. Fazit: Einstieg in eine demokratische, nachhaltige und soziale Hochschulreform 53

A. Allgemeine Beurteilung

A.1 Falsche Perspektiven eines grundsätzlichen Wandels in der Hochschulpolitik

Aus dem Ministerium für Wissenschaft und Forschung Nordrhein-Westfalen ist Mitte Mai ein Referentenentwurf für ein Landeshochschulgesetz bekannt geworden, der einen grundsätzlichen Wandel im Verständnis von Hochschulen in der nordrhein-westfälischen Hochschulpolitik markiert. Management, Profilbildung, Wettbewerb, Konkurrenz und leistungsbezogene Mittelvergabe fließen in einen lange geplanten Gesetzentwurf ein, ob in der stärkeren Hierarchisierung mittels anders verteilter Entscheidungskompetenzen (§ 5) oder der Ausweitung leistungsbezogener Mittelvergabe (§ 6) unter Berücksichtigung der Evaluation (§ 4). Die notwendigen inneruniversitären Auseinandersetzungen um die gesellschaftlichen Aufgaben von Wissenschaften und um die endlich zu realisierende Demokratisierung der Hochschulen (als Partizipation aller Hochschulangehörigen) werden aber zugunsten eines betriebswirtschaftlichen Denkens zurückgestellt. Die Art und Weise, wie im Referentenentwurf Entscheidungen schneller gefunden werden sollen, und die so begründete Deregulierung führen nur zu einer Stärkung hierarchischer Strukturen. Dies liegt an dem strukturell falschen Weg, Kommunikation und Verständigungsprozesse von Entscheidungen zu entkoppeln. Neben der Stärkung undemokratischer (betriebswirtschaftlich orientierter) Verwaltungsstrukturen wirkt sich hier dann auch die fehlende Neuorientierung des Gesetzentwurfes in den nicht verwaltungstechnischen Bereichen aus: so fehlen neue inhaltliche Konzeptionen in den Bereichen Projektstudium, Studienreform, Weiterbildung oder Frauenförderung.

In diesem Zusammenhang dient auch die Zusammenlegung von Universitäts- und Fachhochschulgesetz faktisch der Abschaffung eines modernen Gesamthochschulkonzeptes (siehe A.3: Annäherung statt Wettbewerb): die konstruierte Trennung von Praxis- und Theorieorientierung, von Forschungs- und reinem Lehrauftrag an den Fachhochschulen reproduziert jene undurchlässige, ständische Hochschullandschaft, deren Reformbedürftigkeit doch gerade der Ausgangspunkt einer sinnvollen Reformtätigkeit sein müßte.

In die falsche Richtung weist auch das unreflektierte Übernehmen vor allem in anglo-amerikanischen Ländern eingeführter Studiengänge in das deutsche Hochschulsystem (siehe C.4: Studienabschlüsse). Gerade der Bachelor- und der Master-Abschluß, die Lehrevaluation und die Studierendenwerbung durch die Hochschulen lassen die Studierenden als KundInnen eines Dienstleistungsunternehmens erscheinen. Die Studierenden als Kunden, das konterkariert nicht nur den staatlichen Bildungsauftrag; es unterstützt zudem jene Definitionsmacht ökonomistischen Denkens und Handelns, welcher gerade in den Hochschulen alternative, von den gesellschaftlichen Interessen her weitergefaßte Modelle entgegenstehen sollten. Ökonomistisch-vereinheitlichte Hochschulen reproduzieren den status quo, anstatt ihn zu hinterfragen und in neue Richtungen zu entwickeln. Dadurch verstärkt, daß die Evaluation in die Lehr- und Forschungsberichte eingehen kann, ist in der betriebswirtschaftlich ausgerichteten Dienstleistungshochschule der Weg zu lediglich an der Verwertbarkeit orientierten Mainstreamwissenschaften gewiesen, flankiert von einem Finanzierungssystem, das sich leicht als Sanktionsmechanismus entpuppen kann (siehe D.1: Hochschulfinanzierung).

Besonders erkennbar wird das neue Bild von Studierenden und den Hochschulen in § 3, in dem nicht die partizipatorischen Rechte festgeschrieben werden, sondern nur die passiven Pflichten der Studierendenabsicherung angesprochen sind. Ein Artikel hingegen, der Studienziele oder auch die eigenverantwortliche Arbeit der Studierenden betonte, wie es das alte Hochschulrahmengesetz noch tat (§ 8, HRG 1985), findet sich nun gerade nicht im vorgeschlagenen neuen Länderrecht. Damit allerdings dürfte dem Argument begegnet sein, man könne die im Rahmengesetz angeblich sinnvollerweise nicht länger zu regelnden Partizipationsrechte um so eher auf der Länderebene sichern. Die Praxis spricht hier eine kraß andere Sprache, macht deutlich, daß einmal aufgegebene Mindeststandards an Rechtspositionen nicht bereitwillig auf den jeweils nachgeordneten Ebenen gesichert werden. Wo dann im Referentenentwurf Kompetenzverlagerungen von Landes- auf Hochschulebene angedacht werden, sollte man sich gerade diese Erfahrung zunutze machen. Nur in der 'aufgeklärtesten aller Welten' darf man wohl darauf hoffen, daß sich auf Hochschulebene demokratische Rechte sichern lassen; in einer vom Konkurrenzkampf und von einer auf das Ökonomische reduzierten Effizienz geprägten Realität hingegen gilt auch in bezug auf die demokratische Teilhabe die Logik des Kapitals.

Derartigen Perspektiven fügen sich die nur zögerlichen Verbesserungen im Bereich der Hochschulgremien ein (§ 24 Kuratorium; § 13 Sitz und Stimme; § 21 Senat). Vorsichtige Eingriffe in die Sitzverteilungen als große Demokratisierungen zu feiern ist sinnlos, wenn die demokratisch gewählten Gremien, statt mit weitergehenden Entscheidungskompetenzen betraut zu werden, mit realen Funktionseinbußen zu rechnen haben und wenn gleichzeitig die Macht einzelner Funktionsträger (Rektor, Dekan) noch weniger auf deren Exekutivfunktionen beschränkt bleibt.

Der seit der HRG-Debatte offensichtliche hochschulpolitische »Richtungswechsel« hat dann auch die Vorgehensweise in der Gesetzesvorbereitung und speziell in der Entstehung des Referentenentwurfs bestimmt. Damit wird deutlich, daß hier ein neuer Grundkonsens unterschiedlicher politischer Parteien aufgebaut wird, der eine starke Opposition inner- und außerhalb der Parteien um so notwendiger macht. Während in den Gesprächskreisen zur Funktionalreform studentische Perspektiven deutlich artikuliert wurden, blieben sie in den verschriftlichten Ergebnissen (Funktionalreform an den Hochschulen in Nordrhein-Westfalen; Leitlinien zur Funktionalreform) nahezu unberücksichtigt. Es ist zynisch, wenn die Ohnmacht bestimmter Gruppen der Hochschulmitglieder mit dem Deckmantel eines folgenlosen Kommunikationsprozesses bedeckt wird, diesen Gruppen aber dann zudem mangelnde Einsatzbereitschaft vorgehalten wird. Demokratie als die größtmögliche Autonomie der Vielen wird so über die hochschulinterne Praxis hinaus beschädigt. Die so reformierten Hochschulen können ihrer Demokratie fördernden Aufgabe nicht mehr nachkommen.

Falsch sind die Perspektiven nicht nur aus demokratiepraktischer und demokratietheoretischer, sondern auch aus langfristig politisch ökonomischer Sicht. Der wachsende Einfluß der Nachhaltigkeitsdebatte, verbunden mit der Förderung des tertiären Sektors und der arbeitsintensiven regionalen Wirtschaftskreisläufe (Rückbindung der Weltmarktsektoren an die regionalwirtschaftlichen Wertschöpfungskreisläufe) macht eine bessere Vernetzung von Hochschulen, Staat und Gesellschaft notwendig. Eine in andere Richtungen und anderen Dimensionen als im vorliegenden Referentenentwurf zu denkende Hochschulreform ist ein wichtiger Schritt im Hinblick auf eine langfristige Modernisierung der Gesellschaft. Gerade wenn es den Hochschulen möglich werden soll, ihrer besonderen Verantwortung für die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft gerecht zu werden. Dazu bedarf die Arbeit an Reformen eines breiten Bündnisses für eine andere Hochschulpolitik, anders als sie sich im parteienübergreifenden Konsens über eine betriebswirtschaftlich ausgerichteten Dienstleistungshochschule abzeichnet.

A.2 Eindimensionalität der ökonomisierten Bildungspolitik

»Dabei geht es um eine Neubestimmung des Verhältnisses zwischen Staat und Hochschulen, um eine höhere Selbstverantwortung der Hochschulen und damit einhergehend eine Erweiterung ihrer Autonomie, die Verbesserung ihrer Handlungsfähigkeit sowie eine intensivere Mitwirkung der Hochschulmitglieder. Das allgemeine Ziel der Funktionalreform ist eine Stärkung der Innovationsfähigkeit und Leistungskraft der Hochschulen.« (Auszug aus dem Teil A. Allgemeines der Begründung zum Referentenentwurf zum neuen Landeshochschulgesetz NW)

In den Erläuterungen zum Referentenentwurf werden anhand von Schlüsselbegriffen Ziele und Mittel der Hochschulreform benannt, die einerseits dem Hochschulrahmengesetz des Bundes gerecht werden, andererseits aber auch eine weiterführende Umstrukturierung ermöglichen sollen. Isoliert bleiben die Schlüsselbegriffe »Demokratisierung«, »Autonomie«, »Leistung« und »Effizienz« aber sogar in den Erläuterungen stehen, werden weder in ihrem Ineinandergreifen definiert, noch sind die vorgeschlagenen Mittel zur Verwirklichung geeignet.

Hier soll skizziert werden, wie die Begriffe doch miteinander verbunden werden könnten und sich dadurch ganz andere Folgerungen als die des Gesetzes ergeben.

Demokratisierung vs. Autonomie ?

In der faktischen Kompetenzverlagerung zu Rektorat und Dekanat (§§ 9, 20, 27) wird die Demokratie gegen die Autonomie ausgespielt, obwohl sie eigentlich als sich notwendig ergänzende Kategorien zu verstehen wären.

Autonomie ursprünglich als 'Freiheit des Einzelnen, etwas zu tun' definiert, verlangt ein gesellschaftliches Pendant, das sich in der hochschulinternen Demokratie widerspiegeln müßte (§§ 13f.). Doch wird Autonomie nicht mehr als Kategorie des Einzelnen gesehen, sondern auf die Hochschule als Institution und ihre Funktionsträger bezogen; so wird die 'Freiheit in der Mittelvergabe' über Globalhaushalte erweitert und den Dekanen und den Rektoren größere Kompetenz eingeräumt. Das Gesetz jedoch widerspricht damit gerade dem Ziel der Demokratisierung. Nur wenn diese ernst genommen wird, kann sich die individuelle Autonomie mit den hochschulinternen Meinungsbildungsprozessen verbinden und umreißt somit eine inhaltliche und auf breiter Basis fußende ständige Hochschulreform, wie sie noch im HRG von 1985, § 8 vorgesehen war.

Auch die Art, in der die Evaluation betrieben und auch für die Finanzierung herangezogen werden soll (§§ 4 und 6), wird nicht etwa als Mittel verstanden, die Kommunikation zwischen den Gruppen und damit das Prinzip der Demokratie zu stützen. Sie stärkt vielmehr den Dekan und die Möglichkeit des Landes, die einzelnen Hochschulmitglieder und -institutionen zu sanktionieren.

Gleichzeitig soll der hochschulinternen Demokratie der Boden entzogen werden, wenn auf Institutsebene keine Mindestrechte für die einzelnen Gruppen festgesetzt sind.

Blutleer muß die Konzeption des Kuratoriums bleiben (§ 24), gerade weil es in einer weitergehenden Ausgestaltung zu einem Gradmesser für die Demokratisierung werden könnte.

In all diesen Fällen wird zwar Freiheit gewährt, aber mit dem Ziel, ein »Hochschulmanagement« (Begründung II. Die wesentlichen Neuregelungen) zu schaffen, anstatt die angestrebten Ziele tatsächlich zu erreichen. Legt die Begründung nahe, es handele sich um Ziele, die sich im Gesetz niederschlagen, ist genau der umgekehrte, falsche Weg gewählt worden, indem ein Pragmatismus vorherrscht, der von Unternehmensstrukturen ausgeht und dann mit emanzipatorischen Begriffen geschmückt wird.

Autonomie vs. Leistung und Effizienz ?

Der auf die Mittelvergabe eingeschränkte Begriff der Autonomie funktioniert hierarchisch und wird verbunden mit den Fragen der Leistung und Effizienz: »Zielvereinbarungen haben den Sinn, staatliche Leistungen, etwa in der Form einer weiteren Delegation von Befugnissen oder auch der Gewährung besonderer staatlicher Förderungsmittel, an Gegenleistungen zu knüpfen, zu deren Erbringung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt sich die Hochschule verpflichtet.« (Begründung II. Die wesentlichen Neuerungen) Erziehungsmaßnahmen, die die Hochschule zum Handeln zwingen, sind wohl kaum das angemessene Mittel, notwendige Reformen auf den Weg zu bringen, da sie zugleich die emphatisch zitierte Autonomie untergraben.

Auch hier ist der anders zu fassende Autonomiebegriff Dreh- und Angelpunkt: er kann nämlich sowohl von der Demokratie als auch von der Leistung vereinnahmt werden. Wirtschaftliche Autonomie, die mit Stärkung der Hochschulleitung einhergeht, wählt einseitig den Weg zur ökonomischen Effizienz, die sich von der Leistung der Gemeinschaft entkoppelt und damit die Leistung Einzelner nicht mehr für die Demokratie, sondern für den Staatshaushalt definiert. Effizienz hingegen als gesellschaftliche Größe setzt individuell zu erbringende Leistung schon immer voraus. Anzustreben wäre gegen eine solche starre Entschiedenheit für Leistung oder Demokratie im Gesetzentwurf daher eine wechselseitige Ergänzung, die die Frage nach Leistung in die Gremien der Institute zurückgibt und damit inhaltlich qualifizierte und strukturierte Effizienz schafft. Fragwürdig ist daher die Verlagerung von Entscheidungskompetenzen an Dekanat und Rektorat, wird sie doch der angestrebten Deregulierung nicht gerecht. Die verkürzten und damit vermeintlich effektiven Entscheidungswege schneiden die Ideenpotentiale der einzelnen Hochschulmitglieder ab, damit wird dem Ziel der »Innovationsfähigkeit« (Begründung I. Zielsetzung) ein Riegel vorgeschoben. Indem Leistung und Leistungsbewertung an die Hierarchien gebunden werden, entfällt auch der erhobene Anspruch auf Autonomie.

Staatliche Leistungen - im Referentenentwurf fälschlich allein mit der Finanzierung verknüpft - müssen zunächst unabhängig von betriebswirtschaftlicher Effizienz der Hochschulen diskutiert werden; vielmehr ist auch hier ein inhaltlicher Leistungs- und Effizienzbegriff von Seiten des Staates zu wählen, der über bessere Kommunikationsprozesse (z.B. Kuratorium) »geleistet« werden könnte (siehe B.2: Das Kuratorium). Eine finanziell ausreichende Ausstattung der Hochschulen ist aber die Grundlage für eine inhaltliche Effizienzdiskussion.

Demokratie vs. Effizienz und Leistung ?

Im Gesetz wird Quantität als Bewertungsmaßstab für die Effizienz einer Hochschule gesetzt, ohne zu bedenken, welche Folgen dies in der Rückkopplung auf die Gesellschaft beinhaltet; gesellschaftlich verantwortbare Effizienz müßte vielmehr messen, was die einzelnen Hochschulmitglieder in ihrer Gesamtheit für die Gesellschaft leisten. Effizienz begreift in dieser Definition alle Strukturen, die individuelle Leistungen durch ein flexibles und demokratisches System optimal ermöglichen. Die Verkürzung auf Kennziffern, u.a. Studienzeit und Haushaltsmittel, und den »Kunden Student« verhindert jede gesellschaftliche Verantwortung, die einzufordern wäre.

Über die ständige Studienreform, wie sie im Hochschulrahmengesetz in der alten Fassung von 1985 noch festgeschrieben war, und über die Verbesserung der sozialen Situation der Studierenden ließe sich der Rahmen für bessere Leistungen und gesellschaftliche Verantwortung effektiver und gerechter fördern.

Zudem böte sich so eine langfristige Perspektive, die Aufgaben der Hochschule zu verwirklichen: »Sie wirken dabei an der Erhaltung des demokratischen Rechtsstaats mit und tragen zur Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen bei.« (§ 3 Abs. 1 Satz 2)

A.3 Annäherung statt Wettbewerb: Kein Abschied von der Gesamthochschule

In der hochschulpolitischen Reformdebatte der 1970er Jahre standen die Ziele im Vordergrund, Theorie- und Praxisbezug zu verbinden, Interdisziplinarität zu schaffen, die Hochschulen zu demokratisieren, eine größere Durchlässigkeit zwischen den verschiedenen Bildungsbereichen herzustellen und die Hochschulen für alle Bevölkerungsschichten zu öffnen. Dabei waren die neugegründeten Fachhochschulen nur als vorläufige Einrichtungen gedacht, die letztendlich mit Universitäten unter dem Dach von Gesamthochschulen zusammengefaßt werden sollten.

Die damaligen Ziele sind bis heute nicht erreicht. Häufig genug gibt es sogar Rückschritte, so bei der Zementierung der Vorstellung von der »anwendungsbezogenen« Fachhochschule und der »theoriebezogenen« Universität. Der Referentenentwurf faßt jetzt erstmals Fachhochschulgesetz und Universitätsgesetz zusammen, gibt dabei allerdings das ehemalige Ziel fortschrittlicher nordrhein-westfälischer Hochschulpolitik auf, indem er die Gesamthochschulen quasi durch die Hintertür verabschiedet.

Der Entwurf sieht weiterhin eine Trennung der Hochschultypen vor, obwohl eine sichtbare Nivellierung der Unterschiede stattfinden soll (§ 3 Abs. 2, § 85 Abs. 3). Diese Nivellierung geschieht zum einen, indem beide Hochschultypen die gleichen Studienabschlüsse (Bachelor) anbieten, zum anderem durch den Forschungsauftrag für die Fachhochschulen. Im Zuge der dadurch verstärkten Profilbildung geht es nicht mehr nur um die Konkurrenz zwischen Universitäten oder zwischen Fachhochschulen, sondern es geht um eine allgegenwärtige Konkurrenz aller Hochschulen um Drittmittel, staatliche Finanzierung und Studierende. Der weitergehende Wunsch, der dahinter steckt, ist allerdings nicht eine gleichberechtigte Hochschullandschaft zu schaffen, sondern implizit mit betriebswirtschaftlichen Mitteln Eliten zu fördern und dabei auch noch Geld für das Land einzusparen. Denn: »Nicht mehr Geld für Reformen, sondern mehr Reformen fürs Geld«, so heißt es in der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Wolfgang Clement. Die »Konzentration und Erneuerung« (Gabriele Behler), die die Schließung von Fachbereichen an einzelnen Universitäten vorsehen, ist ähnlich denen der Schulen mehr Mangelverwaltung als alles andere (Schulen, an denen naturwissenschaftliche LehrerInnen fehlen, nennen sich nun einfach »geisteswissenschaftlich-orientiert«) .

Die Konkurrenz zwischen den Hochschulen landes- oder gar bundesweit zu propagieren, ist jedoch ideologische Polemik, da 70 % aller Studierenden innerhalb ihres Landes und ein Großteil davon in ihrer Region studieren. Das heißt, eine Konkurrenz gibt es nur um und eine Auswahl nur für reiche Studierende, die sich einen Umzug bequem leisten können. Diese Konkurrenzsituation führt deutlich zu einer Verschlechterung des gesamten Hochschulstandortes NRW.

Der soziale Ausgleich zwischen den Regionen wird behindert statt gefördert. Zusätzlich gibt es eine Entwicklung zu stärkerer sozialer Selektion. Dies widerspricht der jahrzehntelangen nordrhein-westfälischen Hochschulpolitik. Dabei besitzen die Gesamthochschulen die Möglichkeiten, obige Ziele zu verwirklichen, wie noch 1995 auch von der damaligen Ministerin Anke Brunn festgestellt wurde; wenn inzwischen anders argumentiert wird, zeigt das den ganz offensichtlichen Paradigmenwechsel (siehe Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes NRW (Hrsg.), Gesamthochschulen. Universitäten der Zukunft, Düsseldorf 1995).

Innovativ wäre gerade jetzt, unter den Anforderungen einer breiten Hochschullandschaft, die gut 25-30 % eines Jahrgangs an sich bindet, die Ziele der stärkeren Interdisziplinarität und des sinnvollen Theorie-/Praxisbezugs unter einem Dach zu verwirklichen. Dies würde auch den ausdifferenzierten Wünschen der Studierenden entsprechen, die je nach persönlicher Neigung zwischen mehr berufsqualifizierendem und wissenschaftlich orientiertem Abschluß erst während des Studium entscheiden wollen. Flexibilität ist auch so nur für künftige Hochschulreformen vorhanden, neue Fächer zu schaffen: ein Kahlschlag hingegen muß einen politischen Kardinalfehler begehen, den der Irreversibilität.

Die Trennung zwischen den Hochschultypen bleibt zusätzlich fragwürdig, weil schon heute Universitäten den Bezug zur Praxis suchen und die Fachhochschulen theoretische Konzepte bearbeiten. Die Idee der Gesamthochschule gehört deshalb wieder auf die Agenda einer Hochschulpolitik für das nächste Jahrhundert. Die Fehler, die in den 1970er Jahren bei der Errichtung von Gesamthochschulen gemacht wurden, dürfen natürlich nicht wiederholt werden. Zu nennen sind hier u.a. die Widersprüche zwischen integrierten und kooperativen Modellen, die finanziellen Mängel, die alternative Lehrformen fast unmöglich machten, die starken Differenzierungen innerhalb der Gesamthochschulen und die unveränderte Besoldungsstruktur, die ungleiche Entlohnung bei gleicher Leistung vorschrieb (siehe u.a. Weizsäcker, Möglichkeiten und Grenzen der Gesamthochschule aus: Kasseler Hochschulwoche, Symposium, Die Gesamthochschule heute, Kassel 1976, S. 178 ff.).

Auf Bundesebene wurde der Gesamthochschul-Errichtungsgrundsatz 1985 mit der Novellierung des Hochschulrahmengesetzes gestrichen. In NRW soll der Gesamthochschulgedanke nun mit der Novellierung der Landeshochschulgesetze fallen.

»Die hochschulpolitische Entwicklung der letzten Jahre hat gezeigt, daß die Gründung weiterer Gesamthochschulen nicht erforderlich ist, um die Hochschulstrukturreform einschließlich der Studienreform voranzubringen. Der Programmsatz zur Errichtung weiterer Gesamthochschulen hat deshalb seine ursprüngliche Bedeutung strukturpolitisch und praktisch verloren.« (Begründung § 7)

Das Gegenteil ist der Fall. Die Ungleichheit von Universitäten und Fachhochschulen wird insbesondere von den Universitäten forciert: Promotionsrecht haben nur die Universitäten, was die Fachhochschulen gleichzeitig der Möglichkeit enthebt, ihren eigenen Nachwuchs auszubilden; FachhochschulabsolventInnen können nach hervorragendem Examen nur an einer Universität promovieren; Fachhochschulen waren grundsätzlich finanziell schlechter ausgestattet als Universitäten - dies hat sich erst im Laufe der 1990er Jahre verändert; im öffentlichen Dienst ist FachhochschulabsolventInnen der Zugang zum höheren Dienst grundsätzlich verwehrt; studentische Hilfskräfte an Fachhochschulen erhalten für die gleiche Tätigkeit eine geringere Entlohnung als an Universitäten.

Mangelnde Interdisziplinarität, wenig ausgeprägte alternative Lehr- und Lernformen und fast nicht vorhandene Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Studiengängen machen eine Studienstrukturreform, die vom Modell einer integrierten Gesamthochschule mit modularisierten Studiengängen ausgeht, heute nötiger denn je (siehe C.3 Qualitative Studienreform).

B. Verzahnung von Wissenschaft und Gesellschaft

B.1 Die autonome Hochschule in der Demokratie

Der Begriff der Hochschulautonomie nimmt innerhalb des Gesetzentwurfs eine zentrale Position ein. Er tritt sowohl im Gesetzestext als auch in den Erläuterungen immer wieder auf. So ist bereits im zweiten Abschnitt der Erläuterungen zum Entwurf von der »Stärkung« der Hochschule »Selbstverantwortung und autonomen Handlungsfähigkeit« die Rede. Welches Konzept steht aber hinter dem vielschichtigen Begriff Autonomie? Der inflationäre Gebrauch des Begriffes erklärt ihn noch nicht.

Die Autonomie der Hochschulen ist ursprünglich eine Folge aus der Freiheit der Wissenschaft (GG Art. 5 Abs. 3). Besonders der Erfahrungshorizont des Nationalsozialismus und seines staatlichen Mißbrauchs von Forschung und Lehre machte eine grundrechtliche Garantie der freien Entfaltung von Wissenschaft zu einem wesentlichen Teil des im Grundgesetz geschaffenen Wertekatalogs. Universitäten und später auch Fachhochschulen waren und sind Nervenknotenpunkte des wissenschaftlichen Systems. Daher sind sie in besonderer Weise auf Unabhängigkeit angewiesen. Auch ein staatlicher Eingriff ist nach der theoretischen Trennung von Staat und Gesellschaft eine Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit. Legitimiert wird diese Freiheit aber durch die Funktionen, die die Hochschulen für die Gesellschaft erfüllen. Diese sind Bestandteil jedes Hochschulgesetzes (LHG NRW §3). Hochschulen brauchen als Ort der Wissenschaft und kritischen Reflexion Unabhängigkeit von Partikularinteressen, um ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden zu können. Hieraus ergibt sich, daß die Autonomie ein Mittel zur Erfüllung der gesellschaftlichen Aufgaben sein muß.

Im Widerspruch zu der bereits beschriebenen Unabhängigkeit von staatlicher Bestimmung steht die aus einem »metaphysischen Staatsverständnis« gewachsene öffentliche Trägerschaft des Hochschulsystems. In diesem auf Hegel zurückgehenden Konzept hat der Staat, im Sinne der gesellschaftlichen Entwicklung, die Verantwortung für die Bildung seiner Bürger. Dies beinhaltet die Notwendigkeit staatlicher Regelungen. Nach dem zweiten Weltkrieg übernahm das westliche Europa die stark arbeitsteilige Produktionsweise (Taylorismus). Die dafür notwendigen Formalisierungen wurden auf fast alle gesellschaftlichen Bereiche übertragen. Hieraus entstand seit der Öffnung der Hochschulen am Ende der sechziger Jahre eine sehr hohe Reglementierungsdichte für sie seitens der Politik.

Die letzten zweieinhalb Jahrzehnte sind gekennzeichnet durch umfassende wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen. Abgefedert durch sozialpolitische Steuerungimpulse, weiteten sich im Rahmen dessen die Möglichkeiten individueller Lebensgestaltung und -führung aus (z.B. Bafög). So verlängerte sich für einen großen Personenkreis durch höhere schulische und akademische Qualifikation die Jugendphase. In den 1980er und 1990er Jahren wurde die soziale Absicherung schrittweise politisch-ideologisch bekämpft und auf ein Minimum zurückgestutzt. Somit können die erweiterten individuellen Lebenschancen heute nur von einem privilegierten Teil der jungen Generation realisiert werden, denn Risiken, Kosten und Zwänge werden ebenfalls auf die Einzelnen übertragen. Die Konsequenzen sind materielle Abhängigkeit von den Eltern und von Nebenjobs und damit die Verstärkung sozialer Ungleichheit. Vor diesem Hintergrund kann von der Auflösung sozialer Klassen nicht gesprochen werden. Die neu sich bildenden Leistungsklassen bestärken so in einem wechselseitigen Prozeß die bestehenden Besitzklassen (siehe C.7: Chancengleichheit).

Ein Aspekt der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen hin zu Entformalisierung, Deregulierung und Dezentralisierung ist, geprägt durch eine Ökonomisierung der Politik, die übergreifende Tendenz, den Hochschulen mehr Selbstbestimmung zu geben. Dabei wird angesichts eines völlig unterfinanzierten Bildungssystems aber primär eine Autonomie als Mittel der Selbstregulierung zur (betriebswirtschaftlichen) Effektivitätssteigerung propagiert.

Die beiden Autonomiekonzepte widersprechen sich. Das wird spätestens dann klar, wenn man den Wert demokratischer Prinzipien in diesem Spannungsfeld betrachtet.

Hochschulen wirken »an der Erhaltung des demokratischen und sozialen Rechtsstaats mit und tragen zur Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen bei.« (§3 Abs. 1) Sehr deutlich wird den Hochschulen also eine die Demokratie stützende und bildende Funktion zugedacht. Was Wissenschaft und Forschung betrifft, bedeutet dies notwendig, daß die Erkenntnissuche ohne Einflußnahme erfolgen muß. Nur so ist sichergestellt, daß Forschung und Wissenschaft in ihrer Gesamtheit der Breite gesellschaftlicher Interessen entsprechen und somit zur Wertentscheidung in einem demokratischen Diskurs beitragen können.

Aus den genannten Gründen ist es unerläßlich, daß der Staat zur Erfüllung der gesellschaftlichen Aufgaben den Hochschulen eine bedarfsdeckende Finanzierung sichert. Nur so sind die Hochschulen nicht gezwungen, Mittel aus privater Hand einzuwerben, und der Einfluß damit verbundener Partikularinteressen auf die Hochschule kann beschränkt werden. Derzeit geschieht genau das Gegenteil: Private Stiftungen (z.B. CHE, Stifterverband), Firmen und Konzerne finanzieren Projekte, Forschungsvorhaben und Sachmittel, die wissenschaftlich notwendig, aber mit den knappen staatlichen Mitteln nicht zu verwirklichen sind (siehe D.1: Hochschulfinanzierung).

Für die Lehre folgt aus der demokratischen Funktion, daß Hochschulen bestrebt sein müssen, möglichst offen für breite Gesellschaftsschichten zu sein. So kann einerseits Wissen weiter gestreut und damit demokratische Mündigkeit gefördert werden. Andererseits erhält die Hochschule eine Rückkopplung an die Gesellschaft, die ihr als »Kompaß« und Korrektiv dienen kann. Unbestreitbar ist, daß zumindest dieses Ziel nicht im Interesse einer an kurzfristiger, betriebswirtschaftlicher Effizienz orientierten Hochschule liegen kann. Stellt man derartige Kriterien in den Mittelpunkt, so muß man eher daran interessiert sein, daß nur solche Personen die Angebote der Hochschulen wahrnehmen, die in der Lage sind, diese auch zu entgelten. Eine Selektion der Forschung mit Hinblick auf wirtschaftliche Verwertbarkeit entspricht diesem Ansatz ebenfalls viel mehr als eine große Bandbreite, die im Sinne der zuvor beschriebenen Ansätze wäre.

Fordert man also Autonomie und Demokratie für die Hochschulen gleichermaßen ein, so muß man den im Entwurf manifestierten Autonomiebegriff verändern. Nur ein neuer Autonomiebegriff kann durch die wechselseitige Ergänzung von Demokratie und Leistung zu einer »gesellschaftlich verantwortbaren Effizienz« führen (siehe A.2: Eindimensionalität). Die Einführung kurzfristigen, betriebswirtschaftlichen Denkens ist kontraproduktiv für die auf langfristige Entwicklung angelegten Bildungsprozesse. Damit verkümmern die Innovationspotentiale der Demokratie. Für eine zukunftsfähige Hochschule ist entscheidend, wie bei der Erfüllung ihrer demokratischen Aufgaben die Nutzung ihrer Mittel optimiert werden kann.

Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Verantwortung der Hochschulen ist ein simpler »Kurzschluß« zwischen Staat und Hochschule, wie bisher betrieben, nicht ausreichend. Keinesfalls dürfen aber aus genannten Gründen Teilinteressen ihren Einfluß auf das Bildungssystem weiter ausdehnen. Vielmehr ist eine Verzahnung von Hochschule, Gesellschaft und Staat unerläßlich. Diese muß auch institutionalisiert werden, um einen »Regelkreis« zwischen den drei Polen in Bewegung zu setzen.

Gesellschaftlich eingebunden ist die Wissenschaft auch dadurch, daß sie ihre Erkenntnisse der Gesellschaft zugänglich macht. Dadurch erhält die Gesellschaft einen stärkeren Nutzen wissenschaftlicher Arbeit und im Diskurs der Erkenntnisse bekommt die Wissenschaft einen Rückhalt in der Gesellschaft durch eine stärkere Rückbindung an sie.

Die gesellschaftliche Einbindung in die Hochschule kann durch eine dritte Säule »Weiterbildung« komplettiert werden. Hier findet die Verzahnung von aktiv in den Produktionsprozeß Integrierten mit angehenden und praktizierenden WissenschaftlerInnen statt. Durch Weiterbildung findet die zunehmende Komplexität des Produktionsprozesses ihr Pendant in der gestärkten Position der einzelnen Abhängigbeschäftigten.

B.2 Das Kuratorium: Bindeglied zwischen Hochschule und Gesellschaft

Die Verzahnung von Hochschule, Staat und Gesellschaft bedarf einer institutionellen Regelung. Erfreulicherweise sieht der Referentenentwurf ein einzurichtendes Kuratorium vor (§ 24). Den weitgehenden Forderungen der Wirtschaft nach gezielter Einwirkung auf die Forschung und deren Nutzung wird mit diesem Instrument nicht entsprochen. Die Konzeption eines Hochschulrates als wirtschaftlicher Aufsichtsrat, wie in Bayern (siehe neues Modell für die TU München) durchgesetzt und in der Funktionalreform angedacht, verschärft die ökonomischen Zwänge für die Hochschulen. Um die Freiheit von Forschung und Lehre zu bewahren, ist genau dies weitestgehend auszuschließen. In dieser Hinsicht setzt sich der Referentenentwurf positiv ab. Neben den positiven Aspekten weist die Konzeption aber auch deutliche Schwächen auf. Das Kuratorium nach diesem Muster dürfte, ebenso wie es dem Konvent jetzt geschieht, bei der nächsten gründlicheren Gesetzesüberarbeitung zur Abschaffung anstehen. Denn: Es ist blutleer.

Blutleer bleibt die Konzeption, weil diesem Gremium nicht mehr als die Beratung - vor allem des Hochschulentwicklungsplans - und eine unklar formulierte regionale Einbindung zugewiesen werden. Zusätzlich dazu sollen nur drei Personen als Mitglieder qua Amt vom Gesetzgeber vorgeschrieben werden (KanzlerIn, RektorIn, städtische VertreterIn). Dadurch ist zu befürchten, daß dieses in anderer Zusammensetzung und Aufgabenbestimmung so wichtige Gestaltungsmittel einer gesellschaftlichen Einbindung zu einer Klüngelrunde verkommt, in dem die Wirkungsmöglichkeiten des Gremiums für die Hochschule nicht ausgeschöpft werden. Offenkundig werden solche Mängel etwa bei den derzeitig bestehenden und meist unbekannten Kuratorien in NRW.

Blutleer bliebe es nicht, wenn das Kuratorium die Chance erhält, eine institutionelle Verzahnung von Hochschule, Gesellschaft und Staat zu erreichen, die sowohl der Hochschule als auch der Gesellschaft hilft, sich an Nachhaltigkeit zu orientieren und weiterzuentwickeln. Besonders wichtig erscheint dieser Aspekt unter künftigen wirtschaftspolitischen Gegebenheiten, die in Richtung regionalisierter Wirtschafts-, Kapital- und Stoffkreisläufe tendieren. Damit erhalten die Hochschulen einer Region wichtige Funktionen als wissenschaftliche Impulsgeberinnen und als hochqualifizierte Ausbildungsstätte, die sie nicht im Alleingang bewältigen können und sollten und bei denen sie eine demokratische Legitimation benötigen. Dabei ist die gleichberechtigte Stellung der drei Pole Staat, Gesellschaft und Hochschule im Kuratorium für das Zusammenspiel äußerst wichtig (siehe B.1: Die autonome Hochschule).

Die Einbindung der Gesellschaft in die Hochschule in Form eines rein beratenden Gremiums ist hingegen mehr ein Feigenblatt denn ein wirkliches Zeichen an die Gesellschaft, daß sie mit ihrer Stimme an der Hochschule zu deren Weiterentwicklung beitragen soll und erwünscht ist. Schwerlich ist mit dieser Methode auch eine Verstärkung der regionalen Einbindung der Hochschule zu erreichen, denn es bleibt vollkommen unklar, wer diesem Kuratorium angehört. Zudem ist es kontraproduktiv, wenn die Vertreter/innen des ausführenden Organs in dem beschließenden Organ ordentliches Stimmrecht besitzen. Das Kuratorium, als Korrektiv verstanden, bedarf zwar der beratenden Teilnahme von KanzlerIn und RektorIn, aber keinesfalls des Stimmrechts für beide.

»Gegen Entscheidungsbefugnisse des Kuratoriums spricht auch die Gefahr, daß dadurch Entscheidungsprozesse verkompliziert und verlängert werden...« (Begründung § 24). Der Kommentar zum Referentenentwurf läßt den Schluß zu, daß er Schnelligkeit bei Entscheidungen auf Kosten demokratischer Prozesse als Paradigma über alles erhöht. Zudem wird mit dieser einfach gemachten Begründung, die Stärke des Staates gegenüber der Hochschule belassen, welche durch die propagierte Autonomie zurückgedrängt werden sollte. Autonomie wird entweder falsch verstanden oder als hohle Phrase betrachtet, um im Zusammenhang mit Globalhaushalten Geld einzusparen. Alternative Modelle, wie mit erweiterten Entscheidungswegen durch ein Kuratorium umgegangen werden kann, werden nicht gedacht. Der Münsterische Vorschlag zu Kuratorien (siehe Marc Kaulisch, Die Rückkehr der Selbständigkeit an die Hochschule, Münsterischer Vorschlag, in: http://www.geocities.com/CollegePark/Library/8231, 20.11.98) zeigt hier ein alternatives Modell auf, das für die Entscheidungsfindung zwei Phasen vorsieht. In der ersten Phase wird ein Beschluß durch ein Hochschulgremium dem Kuratorium vorgelegt. Dieses akzeptiert den Beschluß oder gibt ein begründetes Veto ab. Dann hat in der zweiten Phase das Hochschulgremium die Möglichkeit, seinen Beschluß zu ändern. Der neue oder erneute Beschluß wird vom Kuratorium beraten und ggf. beschlossen. Wenn der erneute Beschluß aus der Hochschule den Ansprüchen des Kuratoriums nicht gerecht wird, kann dieses einen eigenen endgültigen Beschluß fällen. Damit die Entscheidungswege möglichst kurz bleiben, wird ein Modell der Fristen eingesetzt. Innerhalb einer bestimmten je nach Thema und Bereich festzulegenden Frist haben die zuständigen Gremien und damit auch das Kuratorium Entscheidungen zu fällen. Zudem bewirkt die Verzahnung von Gesellschaft, Staat und Hochschule durch ein so gestaltetes Kuratorium schnellere Entscheidungen vor Ort, da der lange Weg zum Ministerium entfällt. Damit ist die »Gefahr« ausgeräumt.

Kompetenzverlagerungen an die Hochschulen prägen zum guten Teil den Referentenentwurf (u.a. §§ 9, 30). Auf Grundlage der derzeitigen Gremienstruktur könnte dies endgültig zur Manifestation der Professorenhochschule führen. Kuratorien können dazu beitragen, daß die Kompetenzverlagerungen durch nicht nur mehrere hochschulinterne Gruppen getragen, sondern der Staat und die Gesellschaft zusätzlich eingebunden werden. Um die Autonomie der Hochschule zu verdeutlichen, sollten die Kuratorien in der Mehrzahl durch hochschulinterne Mitglieder besetzt werden. Da die Mehrheit des Kuratoriums zwar bei der Hochschule liegt, aber nicht alleine bei der Gruppe der ProfessorInnen, bewirkt die Einführung eines solchen Kuratoriums einen Paradigmenwechsel in Richtung »demokratische Hochschule«. Dies wird dadurch verstärkt, daß u.a. die Mitglieder des Kuratoriums aus der Hochschule auf Vorschlag jeder Gruppe von sämtlichen Mitgliedern der Hochschule gewählt werden (siehe Münsterischer Vorschlag). Die inhaltliche, demokratische und offene Auseinandersetzung im Kuratorium und mit den verschiedenen hochschulinternen Gremien soll auf diese einen positiven Einfluß ausüben.

Im Hinblick auf landesweite kooperativ zu treffende Entscheidungen zwischen Staat, Hochschule und Gesellschaft stellt der Referentenentwurf lediglich fest, daß »Hochschulen einer Region zur Förderung ihrer Zusammenarbeit und zur besseren regionalen Einbindung ein gemeinsames Kuratorium bilden« können. Dies ist eine deutliche Absage an eine gesellschaftliche Beteiligung etwa bei der Verteilung der Haushalte, bei der Verfügbarkeit und Gestaltung von Fachrichtungen im Land und beim Umgang mit den Evaluationsergebnissen. Entgegen den Versprechungen nimmt der Staat die Hochschulen an die kurze Leine und läßt dennoch eine Verwilderung der Hochschullandschaft zu, indem die konkreten Regelungen jeder Hochschule und damit den ProfessorInnen überlassen werden. So können einige Kuratorien nach Gusto der ProfessorInnen vielfältige Aufgaben und Möglichkeiten erhalten, so werden andere wiederum aus Angst vor zuviel Öffentlichkeit nur ein eher schweigsames Gremium bilden.

Aufgrund der starken Veränderungen in dem Gesetz bezüglich der Kompetenzverlagerungen vom Land auf die Hochschulen ist es unbedingt erforderlich, nun auch die gesellschaftlichen Einbindung zu realisieren. Die Einführung von Kuratorien muß verbindlich für alle Hochschulen mit dem gleichen Maß an Aufgaben und ähnlicher Zusammensetzung festgeschrieben werden; kleine Hochschulen bzw. solche einer Stadt oder Region können ein gemeinsames Kuratorium bilden. Damit wird es möglich, eine umfangreichere Autonomie für die einzelne Hochschule zu gestalten, ohne die Lenkungsmöglichkeiten des Staates und der Gesellschaft, sowie die sozialen und ökologischen Rahmenbedingungen zu vernachlässigen.

Zur Koordination landesweiter Aufgaben, wie z.B. grundsätzliche Finanzverteilung, Gestaltung von Studiengängen, Entscheidungen über Evaluationsergebnisse (siehe C.10: Evaluation), und zur gleichberechtigten Mitwirkung aller Hochschulen an Entscheidungsprozessen im zuständigen Ministerium soll zusätzlich ein landesweites Gremium eingerichtet werden, in dem gewählte VertreterInnen aller Hochschulkuratorien des Landes sitzen und das anteilig ausgewogen Hochschul-, Gesellschafts- und StaatsvertreterInnen enthalten sollte.

B.3 Wissenstransfer

In der Begründung zum Referentenentwurf wird darauf hingewiesen, daß gegenüber §3 Abs. 4 UG und §4 FHG eine Ergänzung in § 5 Abs. 3 aufgenommen wird, "die die Aufgabe des Wissens- und Technologietransfers unterstreicht und konkretisiert" (Begründung § 3). Diese Ergänzung bezieht sich jedoch nur auf die Möglichkeit, "im Rahmen der Gesetze mit Dritten auch in privatrechtlichen Formen zusammenzuarbeiten" (§3 Abs. 5 Satz 2). Der Einsatz von Drittmitteln wird in § 101 geregelt, wobei im Vergleich zum UG und zum FHG besonders hervorgehoben wird, daß "die Inanspruchnahme von Ressourcen der Hochschule einen Vergütungsanspruch der Hochschule zur Folge haben kann." (Begründung § 101) Des weiteren wird ausgeführt, daß die Grenzen zwischen Forschungs- und Entwicklungsvorhaben und Vorhaben auf dem Gebiet des Wissens- und Technologietransfers fließend sind. Die hauptamtliche Erfüllung des Wissens- und Technologietransfers soll in diesem Zusammenhang ebenfalls mit Mitteln Dritter erfolgen können.

Die im Gesetzentwurf vorgenommene Reduzierung des Transferbegriffs auf die zu vergütende Drittmittelforschung und privatwirtschaftliche Kooperation greift dabei zu kurz. Die Gefahr, daß bei voller Inanspruchnahme dieser Möglichkeiten ein wesentlicher Teil zukünftiger Forschungstätigkeiten an der Drittmittelbeschaffung ausgerichtet wird, ist nicht von der Hand zu weisen. Diese Annahme kann auch dadurch nicht entkräftet werden, daß im Sinne des Referentenentwurfs »die Verpflichtung der Hochschule zur Erfüllung der übrigen Dienstaufgaben« davon unberührt bleibt (§ 101 Abs. 1). Wie in der Begründung richtig vermerkt und hier zitiert, sind die Grenzen in diesem Bereich tatsächlich fließend, und somit ist die Einhaltung des Gesetzes auch kaum kontrollierbar.

Damit man die Gefahr einer zunehmenden Determinierung von Forschungsvorhaben durch Drittmittel und Interessen Dritter ausschließen kann, ist eine präzisere Aufgabenbeschreibung für die Hochschule als Ganzes, aber auch für die in ihr agierenden Akteure dringend notwendig. Folgende Punkte müßten hier erfaßt werden:

1. Hochschule als unabhängiger Akteur in der Forschungslandschaft

In § 100 Abs. 1 wird wortgleich mit dem UG und FHG festgestellt, daß die Hochschule zur gegenseitigen Abstimmung von Forschungsvorhaben und Forschungsschwerpunkten sowie zur Planung und Durchführung gemeinsamer Forschungsvorhaben mit den Hochschulen untereinander, den Kunsthochschulen, anderen Forschungseinrichtungen und mit Einrichtungen der überregionalen Forschungsplanung und Forschungsförderung zusammenarbeiten sollen. Für die Hochschule als zwischenstaatlichen Akteur ergeben sich dabei weitreichende Betätigungsfelder:

    Im Unterschied zur privatwirtschaftlich dominierten Drittmittelforschung besteht hier für die Hochschule die Möglichkeit, sich in ausgewählten Forschungsfeldern und an gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklungsprozessen zu beteiligen. Der Rahmen der Tätigkeit wird dabei in §3 Abs. 1 des Referentenentwurfs hinreichend definiert. Anstelle einer nicht definierten Drittmittelforschung wird hier ausgeführt: Die Hochschulen "wirken an der Erhaltung des demokratischen und sozialen Rechtsstaats mit", und "sie setzen sich im Bewußtsein ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und der Umwelt mit den möglichen Folgen einer Verbreitung und Nutzung ihrer Forschungsergebnisse auseinander".

    Daß die Hochschule im Rahmen einer nach diesen Kriterien vorgenommenen Beteiligung an Forschungsnetzwerken die Möglichkeit haben muß, sich Leistungen vergüten zu lassen, ist sinnvoll und notwendig. Eine unreflektierte und aus Einnahmegesichtspunkten vorgenommene Expansion der Drittmittelforschung ist jedoch abzulehnen und zu verhindern.

    2. Studierende als Akteure

    Die eigentlichen TrägerInnen des Wissenstransfers sind die Studierenden selbst. Wie zukünftig Studierende an der Hochschule die Möglichkeit erhalten sollen, in der Hochschule mit erworbenem Wissen und erbrachten Forschungstätigkeiten den Grundstein für Eigenständigkeit und berufliche Profilbildung legen zu können, wird im Gesetzentwurf nicht erwähnt. Folgende Aspekte müßten jedoch unserer Ansicht nach berücksichtigt werden:

    Verbesserung der Studienberatung

    Die Studienberatung muß stärker auch den Übergang vom Studium in das Berufsleben berücksichtigen. Um tatsächlich an der Hochschule erworbenes Wissen in die Praxis umsetzen zu können, müssen die beruflichen Einstiegschancen für AbsolventInnen in diesem Sinne verbessert werden (siehe C.5: Studienberatung).

    Ermöglichung und Begleitung von Existenzgründungen

    Selbständigkeit wird heute aus individuellen wie volkswirtschaftlichen Gründen immer wichtiger:

    Die Hochschule muß daher aus unserer Sicht mit folgenden Maßnahmen die Existenzgründung für AbsolventInnen erleichtern:

    3. Weiterbildung als Form des Wissenstransfers

    Einen wichtigen Beitrag zum Wissenstransfer bildet das Weiterbildende Studium.

    Hier besteht die Möglichkeit, einen reflexiven Transfer von Wissen und Erfahrung zu organisieren. Durch die Öffnung des Studiums für ArbeitnehmerInnen können praktische Erfahrungen aus der Arbeitswelt in die Lehre und Forschung mitaufgenommen werden, gleichzeitig kann ein direkter Transfer aus der Hochschule in die Arbeitswelt angestoßen werden. (siehe B.4: Weiterbildung)

    4. Vergütung von Drittmittelforschung durch ProfessorInnen

    Obwohl im Gesetzentwurf mehrmals auf die Notwendigkeit der Vergütung von Drittmittelforschung hingewiesen worden ist, bleibt die Vergütung von Honorartätigkeiten durch ProfessorInnen gänzlich unberücksichtigt. Da ProfessorInnen jedoch zur Erbringung ihrer Honorartätigkeit auf materielle und personelle Kapazitäten der Hochschule zurückgreifen, müßte auch hier eine Vergütung an die Hochschule entsprechend § 101 vorgenommen werden. Ein entsprechender Passus ist hier noch einzufügen.

B.4 Weiterbildung

Im Bereich der regulären Aufgabenbestimmung der Hochschulen ist der Referentenentwurf gegenüber dem geltenden UG, bezogen auf die Weiterbildung, unverändert geblieben (§ 3 Abs. 4). Was hier als "weiterbildendes Studium" benannt ist, wird im Referentenentwurf dann konsequent unter dieser Bezeichnung wieder aufgenommen: "Weiterbildendes Studium" ist der entsprechende Paragraph überschrieben (§ 90), wo es im UG noch unspezifisch "Weiterbildung" (§ 89) hieß. Die zielperspektivische Formulierung ("sollen ... entwickeln und anbieten", § 89 Abs. 1) ist dem erreichten Entwicklungsstand angepaßt, wenn es heißt: "Die Hochschulen bieten im Rahmen ihrer Aufgaben Möglichkeiten der Weiterbildung an."

Doch viel mehr wird vom Referentenentwurf nicht als Rahmen festgeschrieben. Die entsprechende Begründung versteht sich innerhalb der Deregulierungsbemühungen: "Der Inhalt des weiterbildenden Studiums muß und kann nicht durch den Staat vorgegeben werden. Zum einen gibt es keinen festen Begriff der Weiterbildung. Zum anderen liegt es in der fachlichen Kompetenz der Hochschule, Inhalte, Anforderungen und Organisationsformen für die Erneuerung und Erweiterung der wissenschaftlichen Qualifikation berufstätiger HochschulabsolventInnen und anderer geeigneter Personen (mit berufspraktischer Qualifikation, auch ohne formale Hochschulzugangsberechtigung über die Allgemeine Hochschulreife) zu bestimmen. Die Vorschriften des § 89 Abs. 2 UG und des § 59 Abs. 2 FHG können also entfallen." (Begründung § 90) Wie hier Kompetenz nur im engen Rahmen definiert und dann den Hochschulen zugeschrieben wird, ist die Chance versäumt, einmal strukturell die Konsequenz aus dem zu ziehen, was bildungspolitisch als 'lebensbegleitendes Lernen' gefordert wird und doch mehr heißen sollte, als die Arbeitskraft zu optimieren. Das Weiterbildende Studium als Teil der Beruflichen Weiterbildung kann durch die im Referentenentwurf angelegte Verkürzung der Problemstellung nicht in seinem sozialen, nicht in seinem arbeitsmarkt- und arbeitszeit-/ tarifpolitischen, also eben nicht in seinem gesellschaftlichen Stellenwert gesehen werden.

Die Integration und der funktionsbestimmte Ausbau der Hochschulmöglichkeiten in diesem Bereich (Weiterbildendes Studium als dritte Säule der Hochschule neben Grundständigem Studium und Forschung) würden Kreativpotentiale für eine qualitativ bessere Verzahnung von Wissenschaft und Gesellschaft eröffnen. Die Integration des Weiterbildungssektors in den Hochschulbetrieb könnte bis hin zum Einsatz in der Forschung (auf Weiterqualifizierungsstellen) oder in der Lehre (über Lehraufträge) reichen. Ein neukonzipiertes Landeshochschulgesetz fände im Bereich der Weiterbildung Entwicklungsmöglichkeiten, die bislang getrennte politische Handlungsfelder im Sinne eines weitergefaßten Problemlösungshorizontes integrativ aufeinander beziehen könnten (siehe dazu Gert Vonhoff, Weiterbildendes Studium - Leitgedanken; Dynamisierung von Erstarrtem. Weiterbildung und die Reform der Hochschulen, in: http://www.uni-muenster.de/DeutschePhilologie2/vonhhrg.htm).

Daß die schwierigen Fragestellungen der Finanzierung im Referentenentwurf nicht wirklich angegangen werden (es findet sich nur ein vager Hinweis auf die Möglichkeit, das "weiterbildende Studium ... auch auf privatrechtlicher Grundlage anbieten" zu können, § 90 Abs. 3), ist eine Folge des fehlenden Willens, strukturell konsequent neue Wege zu gehen. In diesem Bereich keine genaueren Rahmenbedingungen abzustecken verrät entweder eine bemerkenswerte Konzeptionslosigkeit oder muß als Hintertür beurteilt werden, durch die eine Umverteilung der durch Weiterbildung entstehenden Lasten zuungunsten der/des Einzelnen erfolgen kann. Neben den Chancen eines ausgebauten Weiterbildenden Studiums sollen darum hier auch die Gefahren und die nicht allein hochschulpolitisch zu lösenden Schwierigkeiten skizziert werden, um so Dimensionen einer wirklichen Hochschulreform anzudeuten.

1. Wo der Referentenentwurf die postgradualen Studiengänge, abgesehen von den Fragen des Zugangs (§§ 66, 67) zum Weiterbildenden Studium zählt (§ 90 Abs. 2 Satz 5), entsteht die Möglichkeit, Studiengebühren für postgraduale Studiengänge über die Debatte um Weiterbildungsgebühren zu etablieren. Wie sich postgraduale Studiengänge, die dem Gesetz zufolge »zur Vermittlung weiterer wissenschaftlicher Qualifikationen oder weiterer beruflicher Qualifikationen nach einem abgeschlossenen Studium« dienen sollen (§ 88 Abs. 1), zweifelsfrei von »konsekutiven Studiengängen«, für die die Studiengebührenfreiheit festgeschrieben ist (§ 10), abgrenzen lassen, erläutert der Referentenentwurf nicht ausreichend. Zwar ordnet er in der Kommentierung zu § 96 die neu eingeführten Bachelor- und Mastergrade in »das international gebräuchliche Modell aufeinanderfolgender (,konsekutiver') Studiengänge« ein (Begründung § 96). Doch bleibt eine Unklarheit, wo der gleiche Referentenentwurf »Studiengänge, die zu einem Diplom- oder Magistergrad führen«, an anderer Stelle als »postgraduale Studiengänge« einstuft (§ 88 Abs. 1). Damit gerade in diesem Punkt eine zweifelsfreie Klärung erfolgen kann, ist eine definitorische Festlegung des Begriffs »konsekutiver Studiengang« (als Teil der Berufserstausbildung) in Abgrenzung zu postgradualen Studiengängen zu fordern. Und für die Frage möglicher Studiengebühren wäre in der Folge solcher Festlegungen dann zu unterscheiden, ob das Weiterbildende Studium Teil der Berufserstausbildung ist (keine Studiengebühren) oder ob es aus einem außeruniversitären Arbeitsverhältnis heraus begonnen wird (siehe D.2: Verbot von Studiengebühren).

2. Wenn das Weiterbildende Studium als Qualifizierungsmaßnahme für nicht im Erwerbsleben-Stehende öffentlich (Arbeitslosenprogramme) oder über die Sozialversicherungsträger finanziert werden soll, muß es für die im Erwerbsleben-Stehenden berufsbegleitend über Wochenarbeitszeitvereinbarungen oder über Jahresarbeitszeitmodelle (z.B. Sabbatjahr) angelegt werden. Sonst ist dem Mißbrauch der öffentlichen Förderung über (Schein-)Kündigungen Tür und Tor geöffnet. Berufsbegleitende Weiterbildung ist eine arbeitsmarktflankierende Maßnahme, die ihre Wirkung entfaltet, bevor ArbeitnehmerInnen aus dem Arbeitsmarkt herausgedrängt werden. Wochenarbeitszeitkürzungen wie Jahresarbeitszeitmodelle ermöglichen es zudem, am Arbeitsprozeß mehr Erwerbstätige teilhaben zu lassen, erbringen so die erwünschten arbeitsmarktpolitischen und binnenkonjunkturbelebenden Effekte; sie entlasten außerdem die Sozialversicherungssysteme. Wenn die Modifizierung von Arbeitszeiten hingegen dazu führt, daß die Arbeit wegen fehlender Neueinstellungen nur verdichtet wird, so ist dies eine volkswirtschaftlich kurzsichtige Perspektive; die Folgen, etwa die gesundheitlich bedingte Frühverrentung, sind später gesamtgesellschaftlich zu tragen, wohingegen der betriebswirtschaftliche Nutzen zuvor allein den Arbeitgebern zugute gekommen ist. Die Politik, die dem Gemeinwesen und nicht Partikularinteressen verschrieben ist, muß derartige einseitige Belastungen verhindern. Eine neue Arbeitsmarktpolitik hat darüber hinaus Korridore zu schaffen, damit berufliche Weiterbildungsangebote aller Richtungen als Recht der Arbeitnehmenden verstärkt genutzt werden können und so ein Bewußtsein schaffen für die Möglichkeiten eines lebensbegleitenden Lernens, auch über die konkrete Anwendung im Beruf hinaus. Die Hochschulen bieten mit der Breite ihres Studienangebots besondere Möglichkeiten, berufsbezogene und allgemeine Weiterbildung ergänzend als Angebote wahrzunehmen, also auch berufliche Umorientierungen zu ermöglichen, wenn dies im Interesse der abhängig beschäftigten ArbeitnehmerInnen ist. Dazu bedarf es allerdings kreativer Freiräume, die sich erst ergeben, wenn die Weiterbildung nicht nach Dienstschluß als zusätzliche Belastung betrieben werden muß.

3. Die tarifpartnerschaftlich zu vereinbarenden Arbeitszeitmodelle, die ein Weiterbildendes Studium in das Berufsleben integrieren, bauen für die höheren Gehaltsstufen auf einer Verkürzung der Produktivarbeitszeit ohne Lohnausgleich auf. Dies ist aufgrund der Gehaltsstruktur der betroffenen ArbeitnehmerInnenschichten sozial vertretbar. Ein Teil des von den ArbeitgeberInnen eingesparten Lohnanteils geht als Kompensation in die Finanzierung der Weiterbildung. Die ArbeitgeberInnen profitieren dafür von kontinuierlich weitergebildeten und damit kreativeren, besser motivierten Mitarbeitenden. Die restliche Finanzierung erfolgt über Haushaltsmittel, die über die allgemeinen Steuern finanziert sind (ggf. auch über einen finanziellen Lastenausgleich). Für die unteren und mittleren Gehaltsstufen muß ein umgekehrt zu den Einkommen gestuftes Modell des Lohnausgleichs geschaffen werden, das vor allem die unteren Gehaltsstufen entlastet.

Eine alternative Art der Finanzierung ließe sich über den Umbau des Sozialversicherungsnetzes herstellen. Denkbar wäre dies, wo anstelle der Arbeitslosenversicherung eine Arbeitsversicherung etabliert würde, »die allen Erwerbsfähigen die Integration in den normalen ersten Arbeitsmarkt oder den öffentlich geförderten, aber dauerhaft organisierten, Arbeitsmarkt ermöglicht. Die Arbeitsversicherung wäre dafür zuständig, flexiblere Erwerbsbiographien und Phasen der Nicht-Erwerbstätigkeit abzusichern.« Notwendige Umorientierungen, die das Erwerbsleben zukünftig stärker als bisher prägen, ließen sich auf diese Weise berechenbarer machen; es ergäben sich zudem verbesserte Möglichkeiten für ArbeitnehmerInnen, solche beruflichen Umorientierungen in eigener Entscheidung und früher, als dies momentan meist der Fall ist, vorzunehmen. »Soweit wie möglich sollen nicht die Folgen von Arbeitslosigkeit korrigiert, sondern Beschäftigung sozialstaatlich eingebettet werden. Der Logik nach wäre die Arbeitsversicherung so etwas wie eine Beschäftigungsgesellschaft für die ganze Volkswirtschaft. Sie stellt die Plattform bzw. die ,Drehscheibe im Strukturwandel' dar, auf der Risiken aufgefangen und auf der individuelle Interessen und Fragen der wirtschaftlichen Strukturentwicklung verbunden werden.« Mit Hilfe der Arbeitsversicherung gilt es, »dauerhaft öffentlich geförderte Beschäftigung dort zu schaffen, wo zwar ein gesellschaftlicher Bedarf, aber angesichts der nicht vorhandenen Möglichkeiten zur Produktivitätssteigerung keine ausreichende Nachfrage besteht«, wie etwa im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs, auf dem Sektor der Pflegeberufe oder in den personalintensiven Handwerken. (siehe dazu Benjamin Mikfeld und Jessica Wischmeier, Innovation, Arbeitspolitik und neues Sozialstaatsverständnis, in: spw 4, 1998, S. 36-41.) Die Finanzierung der Berufsbezogenen Weiterbildung über die Arbeitsversicherung könnte auch klein- und mittelständische Unternehmen entlasten, damit dort den Druck auf Arbeitnehmer mindern, die sich weiterbilden wollen. Die Kostendeckung über eine Arbeitsversicherung könnte zudem für Selbständige interessant sein, sofern sie sich freiwillig versichern.

4. Wo sich die Wochenarbeitszeit aus einer Produktivarbeitszeit und einer gesetzlich und/oder tariflich geregelten Weiterbildungsarbeitszeit zusammensetzt, besteht für alle Beteiligten ein (gesetzlich oder tarifvertraglich) geregelter Rahmen, der die Teilnahme an Angeboten der Weiterbildung ermöglicht. Weiterbildung kann so nicht nur zum Recht, sondern auch zur Praxis für viele untere und mittlere Berufsgruppen werden, die bislang von den Möglichkeiten der Weiterbildung oftmals ausgeschlossen blieben.

5. Beim systematischen Ausbau des Weiterbildenden Studiums ist darauf zu achten, daß Weiterbildungsangebote von freien und gemeinnützigen Trägern sowie von Volkshochschulen nicht zerstört werden. Dies ist über die Spezifik der unterschiedlichen Weiterbildungsangebote zu leisten, notwendig sind dazu gemeinsame regionale Zielvereinbarungen der verschiedenartigen Anbieter und deren inhaltliche Zusammenarbeit. Koordinationszentren, die aufzubauen sind, ermöglichen eine regionale Strukturplanung. Erst wenn die vielfältigen und zerstreuten Angebote zusammengestellt werden, wird für UnternehmerInnen und Betriebsräte, vor allem in klein- und mittelständischen Betrieben, der Weiterbildungsmarkt samt seinen Zertifikationen erschließbar; manches an betriebsinterner Weiterbildung kann dann kostengünstiger und innovationsfördernder aus den Betrieben hinausverlagert werden. Die Weiterbildungskoordinierungsstellen, etwa in Form einer Angebotsbörse, dienen neben der Information schließlich auch der Programmabstimmung und -weiterentwicklung.

6. Die Voraussetzungen und das Verfahren des Zugangs und der Zulassung zum Weiterbildenden Studium von der jeweiligen Hochschule regeln zu lassen (§ 90 Abs 2 Satz 2-3) macht innerhalb einer nicht länger mehr marginalisierten universitären Weiterbildung wenig Sinn. Es begünstigt einseitig von den Hochschulen bestimmte Strukturen (etwa in der Art von Auswahlgesprächen), wo es (nicht zuletzt aus längerfristigen wirtschaftlichen Gründen) gerade um eine möglichst integrative Förderung geht. Weiterbildung auch im universitären Rahmen ist, wie sie hier skizziert wird, ein gesellschaftliches Interesse; darum sind die Bedingungen des Zugangs und der Zulassung auch vom Gesetzgeber zu definieren (siehe C.8: Hochschulzugang). Zugangsmöglichkeiten sind darüber hinaus im Sinne einer lebensbegleitenden Hochschulöffnungspolitik verstärkt für diejenigen bereitzustellen, die aufgrund ihrer beruflichen Qualifikation auch ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung den Weg in die Hochschulen finden können sollen. Zugänge inhaltlicher Art (etwa über die Qualifikation als MeisterIn) schaffen erst die erstrebenswerte Breite der Praxisbezüge.

7. Den Teilnehmenden am Weiterbildenden Studium lediglich Gasthörerstatus zuzubilligen (§ 90 Abs. 1 Satz 3) macht sie zu einem Fremdkörper, setzt damit ein falsches Zeichen. Wo die Verzahnung von Wissenschaft und Arbeitswelt gelingen soll, ist die Integration der im Berufsleben Stehenden an der Universität anzustreben. Das ist nur durch die curriculare und organisatorische Verzahnung von Grundständigem und Weiterbildendem Studium zu gewährleisten. So erst entstehen neben den gleichen Rechten auch die gleichen Pflichten. Die mitunter anders gelagerten Interessen und Zugriffsweisen der am Weiterbildenden Studium Teilnehmenden können so auch in das Grundständige Studium einfließen, Praxisbezüge herstellen; wichtig bleibt dabei, daß die Grundorientierung eines wissenschaftlichen Studiums (mit seiner Theorieorientierung) nicht aufgegeben werden darf. Denn allein so vermag sich für das Weiterbildende Studium eine qualitative Eigenständigkeit gegenüber der stärker an Praxis orientierten betrieblichen und außeruniversitären Weiterbildung herzustellen, die dafür sorgt, daß die Hochschulen als Anbieter nicht einfach Funktionen der anderen Weiterbildungsträger übernehmen, sondern alternative und ergänzende Angebote im Bereich der Weiterbildung bereitstellen.

Die Marginalisierung der Weiterbildung an den Hochschulen gilt es endlich strukturell und in den Köpfen zu beseitigen. Emanzipatorische Arbeitsmarktpolitik und eine volkswirtschaftlich ausgerichtete Hochschulpolitik finden als gesellschaftliche Aufgaben im Bereich des Weiterbildenden Studiums einen gemeinsamen Handlungsraum.

B.5 Regionalisierung der Hochschulen

Das Gefüge der Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen ist im Rahmen des föderalistischen Konzepts der BRD dezentralisiert angelegt worden. Nach den Erfahrungen mit der Zentralisierung der Hochschulpolitik durch den nationalsozialistischen Staat und der damit verbundenen Zerstörung der Basis der akademischen Selbstverwaltung ist sie nicht Bundes-, sondern Ländersache geworden. Dieser Grundsatz ist im Grundgesetz verankert, um die Autonomie des Bildungssystems zu stärken und einem Staatsinterventionismus vorzubeugen, der sich des Bildungs- und Wissenschaftsprozesses bemächtigen könnte. Mit einer Regionalisierung des Hochschulsystems kann diese Autonomie noch weiter gestärkt werden.

Die kritische Funktion, die Bildung und Wissenschaft auszeichnet, wird in der Regel durch Bürokratie, Zentralismus und Ökonomisierung unterbunden. Das Potential zur Überwindung von Herrschaft, indem Menschen in die Lage versetzt werden, sich von verinnerlichter Fremdbestimmung und dogmatischen Herrschaftsideologien zu emanzipieren, liegt gegenwärtig brach. Unter den Bedingungen der Globalisierung wird der traditionelle Wissenschaftsbetrieb zu einem "weichen Standortfaktor" umdefiniert. Davon verspricht man sich, Studium und Lehre noch enger mit der Wirtschaft verzahnen zu können, also möglichst gute Kapitalverwertungsbedingungen dafür zu schaffen, damit der "Standort" als Sieger aus dem globalen Wettbewerb hervortreten kann. Die Hochschulen werden zu "standortgerechten Dienstleistungshochschulen" und geraten in Abhängigkeit vom Wirtschaftssystem. Das gefährdet nachhaltig den Autonomieprozeß und die kritische Funktion des Hochschulsystems.

Die Verträge von Maastricht und Amsterdam betrachten Bildung nicht mehr als nationale, sondern als europäische Angelegenheit, allerdings auch nur als bloßes Anhängsel von Wirtschaftsförderung, die ausschließlich auf "Humanressourcen" Wert legt. Arbeitsmarktorientierung darf aber nicht gegen den integrativen Forschungsbezug in der Lehre und gegen den gesellschaftlichen Praxisbezug ausgespielt werden. Eine umfassende europäische Bildungspolitik bedarf als Pendant regionaler Bezugspunkte.

Es gibt in der vorherrschenden Reformdebatte zwei Regionalisierungsstrategien: eine durch Deregulierung erzwungene Regionalisierung und eine demokratische Regionalisierung. Erstere führt zu einer Restaurierung eines traditionellen mehrgliedrigen Hochschulsystems, auf das Staat, Kapital und ExpertInnen per Hochschulmanagement technokratisch zugreifen können. Die letzere wird hingegen von Anstrengungen in Richtung demokratische Mitbestimmung von Studierendenschaften, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen wie den Frauen- und Umweltverbänden begleitet. 1997 gab es breite Studierendenproteste gegen das mikro-ökonomische Hochschulmanagement, das heute das Verhältnis Staat-Hochschule-Gesellschaft zunehmend restriktiv bestimmt. Bildungspolitik darf nach Auffassung der Protestierenden nicht dazu gebraucht werden, Bildungsinstitutionen durch betriebswirtschaftlich determinierte Strukturen zu ersetzen. Nicht die Frage: Wie viele Lernende braucht diese Gesellschaft? ist entscheidend, sondern: Wie kann der Zugang zum Lernen für alle grundsätzlich weiter geöffnet und offen gehalten werden?

Mit dem Label der Regionalisierung wird heute oft nur die zunehmende Mängelverwaltung an den Hochschulen kaschiert. Studiengänge werden ausgedünnt, verschlankt, zusammengelegt, benachbarte Hochschulen müssen ihr Studienangebot zunehmend so aufeinander abstimmen, daß keine Parallelangebote entstehen. Neue Studiengänge werden nicht in erster Linie inhaltlich, sondern nur noch unter Kostengesichtspunkten gestaltet. Von Studierenden und Lehrenden wird zunehmend eine Mobilität verlangt, die vor allem deswegen keinen Sinn macht, weil sie die Konzentration auf das Studium oder die Lehre noch stärker einschränkt, als dies bislang schon der Fall ist. Wenn die Mehrzahl der Studierenden jobben muß, um das Studium zu finanzieren: warum dann auch noch diese »Teilzeitstudierenden« zwischen zwei oder drei Hochschulstandorten pendeln lassen? Wenn die Mehrzahl der Lehrenden aufgrund der Personalentwicklung an den Hochschulen in Lehre und Forschung überlastet sind: warum dann die verbleibende Kapazität unnötig aus den Instituten abziehen?

Eine Alternative besteht in der demokratischen Regionalisierung der Hochschulen. Sie hat das Ziel, die Bildungsangebote zu öffnen und Lehre wie Forschung mit ihrer Organisation zu integrieren. Maßgeblich ist dafür die gleichberechtigte Mitbestimmung aller AkteurInnen und die Schaffung von neuen Freiräumen, um auf diese Weise die breite Verankerung der Hochschulen in der Region, das Bildungsprofil von Hochschulen und damit die kritische Funktion der Hochschulausbildung zu revitalisieren.

Wenn die ständisch eingeengte Hochschulstruktur nicht weiterhin blind gegenüber globalen, sozialen und ökologischen Erfordernissen arbeiten will, dann muß sie auch rahmenrechtlich, d.h. über Hochschulentwicklungspläne und Haushaltsplanungen, näher an der Region verankert werden. Dabei darf nicht der Status quo zementiert werden, wie es mit den vorhandenen Hochschulkuratorien passiert, sondern Ziel muß es sein, den gleichen Zugang zu Forschung und Technologie auch durchzusetzen. Dazu gehört, daß neben dem Ausgleich der Machtinteressen zwischen Staat, Kapital und wissenschaftlichem ExpertInnentum auch neue Impulse aus der Gesellschaft kommen, nämlich für die Gleichstellung der Geschlechter, für Umweltschutz, für mehr BürgerInnenbeteiligung, für die Förderung von Wissenschafts- und Technologiekritik und für die Schaffung neuer zukunftsfähiger Arbeitsplätze (siehe B. 2: Kuratorium).

Interdisziplinäre wissenschaftliche Arbeits-, Lehr- und Lernzusammenhänge und solche, die zwischen Forschung und beruflicher Praxis vermitteln, gelingen nur in Konstellationen, in denen die KommunikationspartnerInnen sich für die Materie des Gegenübers ebenso wie Fachleute und Laien für das gemeinsame Dritte, das erst Resultat der Kooperation sein soll, interessieren. Der bisher vernachlässigte Transfer von praktischem Erfahrungswissen, Problembewußtsein, spezifischen Kompetenzen in Hochschulfachbereiche und Studiengänge hinein kann mit der regionalen Organisation von Ausbildungsgängen, Forschungspraktika, mit der Konfrontation von BürgerInnen- und ExpertInnengutachten sowie mit der regelmäßigen Auswahl und Einbeziehung in fachwissenschaftliche Praxis- und Berufsfelder gestärkt werden.

Diese neuen Aufgabenzuschreibungen übersteigen die Funktionalität der herkömmlichen Beteiligungsformen im Wissenschaftsbetrieb. Das praxisrelevante Zusammenwirken von Wissenschaft und Wirtschaft, die Öffnung der Hochschulen als Kooperationsfeld von Bildungs- und Forschungsbereichen mit BürgerInnenbewegungen, Berufsverbänden und Gewerkschaften kann in sogenannten "Hochschulregionalkonferenzen" erfolgen (für NRW etwa 3 bis 5). So läßt sich die staatliche Zentralsteuerung durch zweckrationale Detailsteuerung ergänzen. Zugleich ermöglicht das die institutionell abgesicherte Selbstreflexion der Vertretungen von Staat, ExpertInnentum, Kapital und Nichtregierungsorganisationen.

Die Hochschulregionalkonferenzen sollen

Einer Hochschulregionalkonferenz gehören an: von der Ministerin oder dem Minister für Wissenschaft und Forschung benannte ständige VertreterInnen aus dem Ministerium; Mitglieder aus allen im Landtag vertretenen Fraktionen; Mitglieder aller Statusgruppen der Hochschulen der Region; VertreterInnen aus Kommunalvertretungen der Region; VertreterInnen aus den ArbeitgeberInnenverbänden der Region; VertreterInnen aus den Gewerkschaften der Region; Vertreterinnen für Gleichstellungsfragen aus den Hochschulen der Region; VertreterInnen für Umweltbelange. Die genaue Zusammensetzung der Hochschulregionalkonferenzen orientiert sich an den jeweiligen regionalen Spezifika.

C. Hochschulinterne Aspekte

C.1 Demokratie in der autonomen Hochschule

Die Gestaltung des hochschulinternen Zusammenhangs von Demokratie und Autonomie ist als wesentliche Voraussetzung dafür zu verstehen, daß eine so wichtige gesellschaftliche Institution wie die Hochschule ihre Aufgaben für eine Gesellschaft, die sich über demokratische Ansprüche definiert, auch erfüllen kann.

Welches Maß an interner Demokratisierung muß angestrebt werden, damit die Hochschulen ihre Rolle in der Demokratie verantwortlich wahrnehmen können? Haben sich die mit dem HRG von 1975 durchgesetzten Strukturen der Mitwirkung in den Gremien der akademischen Selbstverwaltung als Mittel der inneren Demokratisierung der Hochschulen bewährt?

Eine über den Zusammenhang von Demokratisierung und Autonomie geführte Debatte führt mit Notwendigkeit zur Frage nach den auch per Gesetz gesellschaftlich gewollten Gestaltungsrechten der nicht-professoralen Gruppen, unter denen die Studierenden das extremste, aber eben nicht das einzige Beispiel sind. Alle Regelungskomplexe der Hochschulgesetze zu den Bereichen Lehre, Forschung, Prüfungen und Selbstorganisation sind hinsichtlich der notwendigen Gestaltungsrechte aller Gruppen zu überprüfen und nicht nur an dem Kriterium bisheriger Mitwirkungsrechte zu messen.

Die Diskussion zu den o.g. Regelungskomplexen hat zumindest zwei wesentliche Dimensionen: die erste bezieht sich auf den Sozialisations- und Qualifizierungsprozeß der Studierenden in der Hochschule und auf die damit verbundene Habitusprägung künftiger EntscheidungsträgerInnen; die zweite Dimension bezieht sich auf die Mittlerrolle, die die Studierenden zwischen Gesellschaft und Hochschule einnehmen.

Damit ist die Frage nach dem Zusammenhang von Demokratisierung und Autonomie nicht primär über die bisherigen Mitwirkungsrechte in der akademischen Selbstverwaltung zu beantworten. Vielmehr geht es um prinzipielle materielle Gestaltungsrechte der Studierenden als der Gruppe, die die Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Tendenzen immer wieder neu in Gang setzt. Dieser Austauschprozeß muß etwa bei der Entscheidung über das Lehrangebot und die Angebotsplanung eines Fachbereichs, über Forschungsprojekte und -planung, über Prioritätensetzung bei der Haushaltsplanung, etc. stattfinden.

Gegenüber solchen Vorstellungen ist festzuhalten, daß der vorliegende Gesetzentwurf die Festlegung der Studierenden auf Nutzungsrechte fortschreibt, die mit dem HRG von 1975 vorgezeichnet wurde. Der Gesetzentwurf nimmt die negativen Erfahrungen und Entwicklungen, wie sie sich in der Folge des HRG eingestellt haben, nicht als Teil einer Bedingungsanalyse für zukünftige Entwicklungen auf; insbesondere nicht, was die Vernichtung studentischen Engagements und studentischer Öffentlichkeit betrifft, die durch die Verhaltensregeln auf der Spielwiese der akademischen Selbstverwaltung bestimmenden Regeln, einschließlich des Ordnungsrechts vorangetrieben werden.

Die Regeln, nach denen die akademische Selbstverwaltung der vergangenen zwanzig Jahre funktioniert hat, begünstigen die Entwicklung neuer Formen von Selbstentmündigung und Analphabetismus im Sinne schwindender Fähigkeit und Bereitschaft zu einer individuellen und kollektiven demokratischen Praxis, die nicht nur auf Symptome reagiert, sondern Ursachen erfaßt.

Nur über politisch gewollte Gestaltungsrechte der Studierenden, des wissenschaftlichen Nachwuchses und der wissenschaftlichen MitarbeiterInnen ist ein gesellschaftlich verantwortetes, umfassendes Engagement zukünftiger Studierenden- und WissenschaftlerInnengenerationen denkbar. Dies würde eine neue Qualität der Verantwortung für die jeweiligen Sozialisations- und Qualifikationsprozesse und für deren gesellschaftlichen Gebrauchswert bedeuten.

Der Gesetzentwurf nennt schon eingangs als eines seiner vorrangigen Ziele die "Stärkung von Partizipationsrechten" (Begründung I. Ziele). Das entspricht dem in den Leitlinien zur Funktionalreform genannten Vorsatz, die Hochschulen zu demokratisieren. Bei der näheren Analyse des Gesetzestextes zeigt sich jedoch, daß Partizipationsmöglichkeiten nicht erweitert werden. Im Gegenteil: Auf allen Ebenen werden Kompetenzen und Initiativrechte zu den Exekutivorganen, also Dekanat und Rektorat, verlagert (siehe A.2: Eindimensionalität). Die gewählten Gremien werden auf eine Kontrollfunktion reduziert. Auch die Repräsentation der nicht-professoralen Gruppen in der akademischen Selbstverwaltung bleibt weiterhin unbefriedigend. Die absoluten Mehrheiten der ProfessorInnen werden nicht eingeschränkt, sondern eher noch stärker betont (vgl. Wahl des Rektors/der Rektorin).

Nicht nur innerhalb der Hochschule, sondern auch in ihrer Rückkopplung an die Gesellschaft werden innovative, demokratiefördernde Modelle im Gesetz nicht berücksichtigt. Aus diesen Gründen ist der Regelungsgehalt des Gesetzentwurfs in Fragen der Partizipation und Demokratie nicht akzeptabel.

Nach dem noch immer gültigen Hochschulurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1973 sind die Möglichkeiten zur Demokratisierung hochschulinterner Entscheidungsprozesse eingeschränkt. Eine Prüfung dieses Urteils ist mittelfristig unumgänglich. Bis dahin ist es allerdings um so wichtiger, die Möglichkeiten, die es läßt, voll auszuschöpfen. Dies tut der Entwurfstext, wie bereits beschrieben, keineswegs. Statt die absoluten Mehrheiten der ProfessorInnenschaft in Senat (§ 21) und den Fachbereichsräten (§ 28) fortzuschreiben, sollten kombinierte Möglichkeiten der verschiedenen vorhandenen Reformmodelle bedacht werden. Dabei sind besonders die spezifischen Möglichkeiten und Zwänge auf den verschiedenen Organisationsebenen der Hochschule zu beachten. Regelungen für den Senat können nicht unbesehen auf die Gremien der Fachbereiche angewandt werden. Auf der Ebene der zentralen Hochschulgremien sieht der Gesetzentwurf zunächst die Streichung des Konvents vor. Das trägt der vor Jahren durch Kompetenzentzug produzierten Disfunktionalität dieses Gremiums Rechnung und ist somit nicht grundsätzlich zu beanstanden. Anstatt allerdings diese Möglichkeit zu nutzen und ein reformiertes Gremium zu schaffen, das die Aufgaben des Konvents übernimmt, wurden diese im Zeichen der "Verschlankung" dem Senat übertragen. Das ist nicht akzeptabel. Für Entscheidungen in Grundsatzfragen muß ein eigenständiges Gremium, etwa ein erweiterter Senat, geschaffen werden. Dieses muß viertelparitätisch besetzt sein, was auch im Rahmen geltender Rechtsprechung möglich ist. Der erweiterte oder große Senat sollte alle Aufgaben übernehmen, welche von grundsätzlicher Bedeutung sind und nicht unmittelbar Forschung und Lehre berühren. Der bestehende Senat bleibt in der vom Gesetz vorgesehenen kleinen Form erhalten. Ihm obliegen alle Entscheidungen, bei denen nach dem Hochschulurteil von 1973 eine professorale Mehrheit erforderlich ist. Dementsprechend bleiben bisherige Wahlmodalitäten und Mehrheiten erhalten. Der große Senat legt in der Grundordnung die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Gremien fest. Sollte im Einzelfall die Kompetenz strittig sein, entscheidet der große Senat über die Zuständigkeit (siehe Stellungnahme der Juso-Hochschulgruppen NRW zum Referentenentwurf). Eine solche Regelung entspräche zum einen dem neuen HRG, zum andern geht der Gesetzgeber in Hessen momentan einen ganz ähnlichen Weg, so daß dieses Modell grundsätzlich unzweifelhaft realisierbar ist.

Auf der Ebene der Fachbereiche können aus Praktikabilitätsgründen keine zwei Gremien gebildet werden. Sinnvoller wäre daher der differenzierte Umgang mit der Einheit von Sitz und Stimme. Demnach werden die Sitze des Fachbereichsrats viertelparitätisch besetzt. In Fragen mit unmittelbarem Bezug zu Forschung und Lehre wird die Stimme jedes professoralen Mitglieds mehrfach gewertet, um die absolute Mehrheit der Stimmen sicherzustellen.

Flankierend zu diesen Konzepten ist das Rederecht von im Einzelfall betroffenen Hochschulangehörigen in allen Gremien festzuschreiben. Dies ist nicht nur unter demokratischen, sondern auch unter Gesichtspunkten der sachgerechten Entscheidung vordringlich. Weiterhin sollte die Möglichkeit eines suspensiven Gruppenvotums in das Gesetz aufgenommen werden. Wenn die Gremienangehörigen einer Gruppe überstimmt wurden, müssen diese die Möglichkeit haben, ein aufschiebendes Veto auszusprechen. Ziel einer solchen Regelung ist erstens, die Interessen aller Hochschulgruppen zu wahren und zweitens, eine offenere Entscheidungskultur in den Gremien zu etablieren. Mit einem Vetorecht wird die Meinungsbildung von größerer Verständigungsbereitschaft der Gruppen untereinander geprägt sein. Es ist zu vermuten, daß jede Gruppen, da sie nur geschlossen ein Veto aussprechen kann, vorsichtig mit diesem Mittel umgehen wird.

Die Stärkung der Mitbestimmung nicht-professoraler Gruppen muß sich in einer durchgängig viertelparitätischen Besetzung beratender Gremien äußern. In der Studienkommission des Senats (§ 22 Abs. 1) sollte eine Halbparität zwischen wissenschaftlichem Personal und Studierenden bestehen. In keinem Fall ist es sinnvoll, den/die RektorIn als stimmberechtigtes Mitglied in den großen oder kleinen Senat aufzunehmen und diesen der Gruppe der ProfessorInnen zuzurechnen. Damit wird eine doppelte Mehrheit bei der Wahl des Rektors/der Rektorin notwendig, was aber seinem/ihrem Vertretungsanspruch für die gesamte Hochschule widerspricht. Durch die doppelte Mehrheit werden die Stimmen der nicht-professoralen Gremienmitglieder völlig entwertet. Auch darf der/die RektorIn als Oberhaupt der Hochschulverwaltung nicht gleichzeitig über die Kontrolle der Verwaltung mitentscheiden. Die Wahl des Rektors/ der Rektorin obliegt dem großen Senat, wo er/sie für eine Amtszeit von vier Jahren mit absoluter Mehrheit gewählt werden muß. Der/die RektorIn kann vom großen Senat mit einem konstruktiven Mißtrauensvotum abgewählt werden. Diese Ausführungen lassen sich analog auf das Verhältnis von Fachbereichsräten und DekanInnen anwenden.

Zu begrüßen ist die Möglichkeit der Gleichstellungsbeauftragen, an den Sitzungen aller Gremien teilzunehmen (§ 23 Abs. 1). Darüber hinaus muß dieses Recht auch den Behinderten-, AusländerInnen- und Umweltbeauftragten zustehen. Diese Gruppen, bzw. Problemfelder, werden in dem Entwurf durchgängig vernachlässigt (siehe C.7: Chancengleichheit). Im Sinne einer demokratischen Hochschule ist es gleichfalls unerläßlich, daß sämtliche Hochschulgremien öffentlich tagen. Die Regelungen zum Schutz personenbezogener Daten bleiben davon unberührt.

Die Zusammensetzung der Exekutivorgane ist durch den Entwurf unbefriedigend geregelt. Weiterhin besteht für kein Mitglied einer nicht-professoralen Gruppe die Möglichkeit, die Position eines Prorektors/einer Prorektorin zu bekleiden (§ 20). In Dekanaten wird sehr beschränkt eine solche Regelung eingeführt (§ 27). Teils konterkarieren die weiteren Ausführungen des Entwurfs aber diese Neuerung. So muß weiterhin die Position des Studiendekans / der Studiendekanin von einem/einer ProfessorIn besetzt werden. Gerade die Öffnung dieser Position für Studierende ist enorm wichtig im Sinne der stärkeren Berücksichtigung von Studierendenangelegenheiten in den Dekanaten. Das Gesetz muß für studentische Mitglieder von Gremien und Verwaltungsorganen eine Aufwandsentschädigung vorsehen, die der finanziellen Grundsicherung der Studierenden Rechnung trägt.

Es ist weiterhin notwendig, daß auch auf der Ebene der Institute demokratische Mindeststandards festgeschrieben werden. Zu diesem Punkt äußert sich der Gesetzentwurf bisher gar nicht.

Im Sinne einer freieren Entfaltung der Hochschulen und um ihnen eine offene Gestaltung des Studiums zu ermöglichen, ist es nötig, den Wildwuchs der Rahmenordnungen zu beseitigen. Rahmenordnungen müssen den Spezifika der jeweiligen Hochschule Rechnung tragen. Anforderungen an sie sind: Vergleichbarkeit, Interdisziplinarität und die Festsetzung von Mindeststandards. Eine Möglichkeit, das umzusetzen, wäre die Schaffung eines landesweiten Kuratoriums, das sich mit der Erarbeitung von Rahmenordnungen und mit der Weiterentwicklung der Schlüsselsschlüssel für die staatliche Finanzierung beschäftigt.

Bei der Aufgabe, Wissenschaft, Staat und Gesellschaft zu verzahnen, bleibt der Gesetzentwurf Konzepte schuldig. Das Kuratorium, welches in der Lage wäre, genau das zu leisten, wird in der vorgesehenen Form völlig wirkungslos bleiben (§ 24) (siehe B.2: Das Kuratorium).

Die Erprobungsklausel (§ 9), die der Entwurf beinhaltet, ist in dieser Form unbefriedigend. Zum einen vereinen die Zielvorstellungen so vieles, teils Unvereinbares, daß im Ergebnis eine Beliebigkeit vorliegt, die Mindeststandards untergräbt. Des weiteren ist es notwendig, daß die Erarbeitung der Erprobungsmodelle nicht von der Hochschulleitung, sondern vom großen Senat selbst vorgenommen wird, der zu diesem Zweck eine Kommission bilden kann. Der Sinn der in § 9 Absatz 2 genannten Vereinbarung ist nicht erkennbar. Sollte es sich um bloße Absichtserklärungen handeln, so kann auf diese Vereinbarungen verzichtet werden. Sollte hier allerdings eine Möglichkeit für die Hochschulleitung geschaffen werden, an den Kontrollinstanzen vorbei Regelungen mit dem Ministerium abzusprechen, so widerspricht dies fundamental demokratischen Prinzipien und muß ausgeschlossen werden. Daher ist es in jedem Fall sinnvoll diesen Absatz zu streichen.

C.2 Interdisziplinarität

Am Ende des 20. Jahrhunderts stellt sich die Frage, ob die »klassische« Einteilung von Lehre und Forschung in »Fächer« allein zur Lösung der anstehenden globalen Probleme führen kann. Mittlerweile ist zwar zu beobachten, daß einzelne Aspekte der weltweiten Umwelt- und Entwicklungskrise - insbesondere solche mit lokal abgegrenzter Symptomatik - ins Curriculum der meisten Fachdisziplinen aufgenommen wurden. Es ist jedoch festzustellen, daß der bisherige Weg der rein disziplinär orientierten Lehre und Forschung ausreichende Perspektiven und Kompetenzen weder bietet noch vermitteln konnte (siehe C.3: Studienreform); im Gegenteil sogar ein Gutteil zur derzeitigen Problematik beigetragen hat. Diese ist in Teilen eskaliert, so daß disziplinär begründete Kurzsichtigkeit beispielsweise in der Architektenausbildung zu unbewohnbaren städtischen Räumen geführt hat. Und Fragen der Bewertung von Technik ziehen erst ganz allmählich in die natur- und ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen ein.

Die bisherige eindimensionale Ausrichtung nahezu aller Studiengänge kann nicht dazu beitragen, Probleme von mittlerweile weltweiter Tragweite zu lösen. Vielmehr müssen den angehenden AbsolventInnen fachübergreifende methodische (integrierende) Denkweisen vermittelt werden. Viele ökologische, soziale oder ökonomische Probleme besitzen heute eine weltweite Ausprägung (»Internatialisierung«) und sind nur noch im interdisziplinären Kontext zu lösen. Und ein weiter gefaßtes Ziel wie eine dauerhaft umweltgerechte und zukunftsfähige Entwicklung (»sustainable development«) schließt monodisziplinäre Strategien vollständig aus. In diesem Zusammenhang wird vom »Zieldreieck der Nachhaltigkeit« gesprochen, welches ökologische, ökonomische und soziale Belange verbindet. Damit ist dieser Ansatz inhärent interdisziplinär.

Hier weist der Referentenentwurf in die falsche Richtung. Der Ansatz eines »schlanken Studiums« mit seinen restriktiven Elementen (der Regelstudienzeit statt der Garantiestudienzeit, der Beratungspflicht mit dem Ziel der schnellen Selektion oder den weiterhin drohenden Studiengebühren) wird tendenziell zu Studierenden mit »Scheuklappen« führen, die sich von den vermeintlichen Sachzwängen ihrer Disziplin nicht lösen können. Notwendig ist eine Bildung, die Problemlösungskompetenzen jenseits einer - wie im Referentenentwurf geforderten - »Aus«-Bildung schafft und dadurch auch mehr Eigenverantwortlichkeit für Studierende bietet.

Hier können nicht nur Aufbaustudiengänge, weitere Nebenfächer oder noch mehr Zusatzveranstaltungen allein zielführend sein. Interdisziplinäre Veranstaltungen, Seminare und Projekte, die sich in den bisherigen Kanon integrieren, bieten die Chance, problem- und zielbezogen zu studieren, Teamfähigkeit zu entwickeln und die eigene fachliche Kompetenz zu erweitern. Dies bedeutet nicht, daß alle bestehenden Studienrichtungen umgebaut werden müssen (Chemie soll Chemie bleiben). Für Studierende eröffnet sich jedoch die Möglichkeit, den Elfenbeinturm zu verlassen und mit relevanten sozialen Gruppen außerhalb der Universität zusammenarbeiten, womit im Idealfall eine partizipativ ausgerichtete Hochschulentwicklung möglich wird.

Das wäre die Herausforderung für eine umfassende Studienreform.

C.3 Qualitative Studienreform

In der öffentlichen Debatte wird besonders von ArbeitgeberInnenseite immer wieder Problemlösungs- und Organisationskompetenz von HochschulabsolventInnen eingeklagt. Tatsächlich erfordert nicht nur der »Druck des Arbeitsmarktes« eine derartige Orientierung des Studiums, sondern sowohl die demokratische Partizipation als auch die wissenschaftliche Arbeit. Gesellschaftliche Vorgänge sind heute geprägt von multipolaren Problemstellungen, die nicht mehr aus dem engen Blickwinkel eines überkommenen Fächerkanons verstanden und gelöst werden können. Hierzu gehört auch, Erfahrung bezüglich der praktischen Auswirkungen der eigenen wissenschaftlichen Arbeit in eine Analyse mit einzubeziehen. Die gegenwärtige Struktur des Studiums wird diesen Anforderungen allerdings kaum gerecht. Weiterhin wird vor allem punktuelles Fachwissen in einem sehr spezialisierten Studium vermittelt, das es fast ganz der/dem Einzelnen überläßt, eine Beziehung zwischen der wissenschaftlichen Ausbildung und beruflicher Praxis herzustellen. Ebenso unpassend ist die reine Abschlußorientierung des Studiums. Alle Leistungen, die vor der Abschlußarbeit und den zugehörigen Prüfungen erbracht wurden, finden keinen Eingang in die Endnote und sind somit formal wertlos.

Aber auch die momentan eingeschlagenen »Reform«-Wege ziehen nicht die notwendigen Konsequenzen aus dieser Problematik. Im Gegenteil: Die simple Einführung eines Kurzzeitabschlusses (siehe C.4: Studienabschlüsse) - wie ihn auch der Referentenentwurf propagiert -, die noch nicht einmal über eine inhaltliche Umgestaltung der Studienstruktur nachdenkt, beschränkt den Horizont der Bildung noch weiter (siehe Zumloh und Gombert, Utopie als Ort der Bildung, in: http://www.geocities.com/CollegePark/Library/8231, 20.11.1998). Es ist eine falsche Annahme, man könne die Vermittlung der oben geforderten Kompetenzen, losgelöst von inhaltlicher Arbeit, quasi vorschalten. Nur in der wissenschaftlichen Arbeit sind solche Fähigkeiten zu erlangen, denn nur wenn man ein Problem inhaltlich durchdrungen hat, kann man auch Lösungskonzepte entwickeln.

Ganz ähnlich argumentieren Bultmann, Gützkow und Kiel, wenn sie fordern:

»Statt einer eindimensionalen Orientierung des Studiums an eng umrissenen und kurzfristig verwertbaren Berufsprofilen muß ein problemorientierter Praxisbezug die Studienangebote bestimmen. [...] Wissenschaftlichkeit, Theorie- und Praxisbezug sind daher unabtrennbare Bestandteile aller Studiengänge und -abschnitte.« (Bultmann/Gützkow/Kiel, Eckpunkte für eine qualitative Studienreform, in: http://www.bdwi.org/texte/studienreform.htm, 20.11.98)

Konkret ergeben sich daraus folgende Anforderungen an eine tatsächliche Reform des Studiums:

Ein konkretes Modell für eine qualitative Studienreform könnte daher folgendermaßen aussehen: Grundlage der Reform ist eine gestuftes Studium.

Am Beginn steht eine Studieneingangsphase, in der primär Orientierung an der Hochschule und in der Methodik wissenschaftlichen Arbeitens über eine exemplarische erste Beschäftigung mit durchaus komplexen Inhalten stattfinden soll. So sollen zentrale Fragestellungen und Dimensionen eines Faches eröffnet werden. Leistungsnachweise werden in dieser Zeit noch nicht eingefordert, um den Einstieg nicht zu erschweren. Die Studieneingangsphase kann einen Zeitraum von ein bis zwei Semestern einnehmen. In der anschließenden zweiten Phase werden in der gewohnten disziplinären Ausrichtung Grundlagen der einzelnen Studienfächer vermittelt. Diese beiden Phasen werden begleitet durch eine verbindliche Belegung fachfremder Veranstaltungen (etwa 2 Semesterwochenstunden), welche die Grundlage für späteres, interdisziplinäres Arbeiten bildet. Dieser zweite Abschnitt könnte etwa drei bis vier Semester einnehmen.

In einer dritten Phase werden die engen Fächergrenzen durch ein modularisiertes Studium weitgehend aufgehoben. Dabei werden die bisherigen Disziplinen in thematische Bereiche, sogenannte Makromodule, aufgeteilt. In jedem Bereich muß eine bestimmte Anzahl von Punkten erreicht werden. Diese können über ein differenziertes Kreditpunktesystem gesammelt werden. Der Gesamtwert ergibt sich aus der Addition von einzelnen Veranstaltungen und Projekten (Mikromodulen), die jeweils einen eigenen Punktwert haben. Es wäre denkbar, bestimmte Arten von Mikromodulen wie eine obligatorische mündliche Prüfung pro Makromodul festzuschreiben. Die Punktzahl pro Veranstaltung richtet sich nach dem Grad der Komplexität, der Zeitspanne und dem Anteil an selbstorganisierter Arbeit. Die Punktzahl der Veranstaltungen wird auf Vorschlag der jeweiligen ProjektträgerInnen (etwa Dozierende) vom Fachbereichsrat festgelegt. Dabei sollen besonders die bisher vernachlässigten interdisziplinären Veranstaltungen gefördert werden. So können Projekte mehreren thematischen Makromodulen zugeordnet werden. Die Studierenden aus unterschiedlichen Fachrichtungen können sich die Punktzahl in dem jeweils sie betreffenden Makromodul anrechnen. Beispiele, die nach demselben Prinzip funktionieren, finden sich bereits heute an einigen Hochschulen. So beweist etwa das Projekt »Nachhaltige UniDo«, daß unter Studierenden durchaus ein Bedarf an interdisziplinärer Arbeit besteht, zumal sich diese Prinzipien sehr einfach in bestehende Strukturen integrieren lassen (siehe C.2: Interdisziplinarität).

Ein Projekt, welches in Umfang und Anforderungen etwa der bisherigen Abschlußarbeit entspräche, sollte als eigenständiges Makromodul neben den thematischen Bereichen stehen. Der Zeitpunkt dieser Arbeit bleibt den Studierenden selbst überlassen. In der Regel wird sie jedoch weiterhin am Ende des Studiums stehen. Dieses Hauptprojekt können auch mehrere Studierende gemeinsam umsetzen. Art und Ausgestaltung werden zwischen BetreuerInnen und ProjektteilnehmerInnen in einem durchgängigen Prozeß entwickelt. Es sollte kein anderes Mikromodul geben, das mehr als die Hälfte der Wertigkeit dieses Hauptprojekts besitzt. Es sollte allein nicht mehr als drei Viertel des Punktwertes eines Themenbereichs besitzen.

Der Abschluß ist erreicht, wenn in jedem der Makromodule die erforderliche Punktzahl erreicht ist.

Eine Leistungsbewertung findet kontinuierlich in jedem Mikromodul statt. Die - in einer aufsteigenden Punkteskala gemessene - Leistung wird multipliziert mit der Grundpunktzahl des Mikromoduls. Tatsächlich alle Noten in die Endnote einfließen zu lassen, würde jedoch einen kontinuierlichen Druck aufbauen, der im Sinne eines selbstverantworteten Studiums nicht sinnvoll sein kann. Ein Blick auf die Angelsächsischen Länder zeigt, daß sich viele Studierende durch eine permanente Bewertung eher in einer sinnvollen Studientätigkeit behindert sehen. Zudem können auch in einem modulartigen Studiensystem viele sinnvolle Tätigkeiten nicht berücksichtigt werden, weil sie zu weit von der Fachausrichtung der Einzelnen/des Einzelnen entfernt liegen, wie etwa Mitwirkung an einem politischen Projekt für Studierende der Naturwissenschaften. Um hierfür gewisse Freiräume zu schaffen, muß die Relevanz der Einzelbewertungen für die Endnote relativiert werden. Es wird differenziert zwischen bewerteten Mikromodulen und unbewerteten Modulen. Von 40 Punkten innerhalb eines Makromodules müssen 20 Punkte durch bewertete Veranstaltungen erreicht sein. Die Bewertung dieser 20 Punkte fließt in die Abschlußnote am Studienende ein, das entspricht 60 Punkten aus den drei Makromodulen. Das Erreichen der 40 Punkte in einem Makromodul qualifiziert für die Abschlußprüfung, die mit 10 Punkten (für drei Makromodule also insgesamt 30 Punkte) in die Abschlußnote eingeht. Weitere 30 Punkte werden durch das bewertete studienbegleitende Hauptprojekt erworben. Die Abschlußprüfung unterstützt eine Zusammenschau des Faches über das gesamte Themengebiet des Makromodules. Der Anteil an der Abschlußnote ist jedoch geringer gewählt, um den Druck auf die Studierenden zu vermindern. Die Noten multipliziert mit der Punktzahl ergeben in der Gesamtsumme die Abschlußnote.

In ein solches Studienmodell ließe sich auch ein geringer qualifizierter Abschluß integrieren, indem für diesen die geforderte Punktzahl pro Themenbereich reduziert werden. Dieser wäre allerdings nicht konsekutiv, sondern alternativ zu verstehen. Allerdings muß für AbsolventInnen des geringeren Abschlusses die Möglichkeit bestehen, später die höhere Qualifikationsstufe anzustreben. An die Art der hierfür notwendigen Mikromodule könnte man ein bestimmtes Anforderungsprofil knüpfen.

Durchführbar ist ein solches modulorientiertes Studium allerdings nur bei einer massiven Verbesserung des Beratungsangebots (siehe C.5: Studienberatung). So sollte etwa über ein MentorInnenprogramm nachgedacht werden. JedeR Lehrende eines Fachbereiches betreut demnach eine bestimmte Anzahl von Studierenden über einen längeren Zeitraum hinweg. In jedem Fall sollte nach den ersten beiden Phasen ein MentorInnen-Wechsel stattfinden, um eventuell eingeschliffene Perspektiven nochmals zu durchbrechen. Aufgabe des/der MentorIn ist nicht die Leistungskontrolle, sondern die Beratung bei der Studienplanung und die Fremdeinschätzung für die Studierenden.

Der Referentenentwurf nennt einige dieser Ziele in § 8. Allerdings bleiben die Einlassungen seltsam inhaltsleer. Prinzipiell wäre dies im Sinne einer kreativen Entwicklung vor Ort noch nicht zu beanstanden, würde die kritiklose Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen die Ansätze der Studienreform nicht bereits wieder konterkarieren.

C.4 Studienabschlüsse

Unter dem § 85 "Regelstudienzeit" findet sich die als Internationalisierung propagierte Einführung des zweigliedrigen, aus dem anglo-amerikanischen Raum stammenden Bachelor-Master-Systems. Damit wird der Referentenentwurf lediglich dem Hochschulrahmengestz gerecht, übersieht aber, daß das Bachelor-Master-System auf deutsche Verhältnisse keineswegs einfach übertragbar ist und welche Risiken eine solche Einführung mit sich bringt. Denn das deutsche Bildungssystem fußt auf einer ganz anderes gearteten Schulbildung und sieht durch Fachhochschulen und Universitäten eine gleichwertige eher berufsorientierte und eher wissenschaftsorientierte Ausbildungsform vor. Zudem bietet es mit dem dualen System eine angesehene betriebliche Ausbildung, zu der es im anglo-amerikanischen Raum nichts annähernd Äquivalentes gibt.

Bachelorabschlüsse drohen letztendlich die Ausbildung und Weiterbildung von den in den Betrieben Ausgebildeten zu verhindern. Es ist zu befürchten, daß z.B. gerade MeisterInnenpositionen durch formal höher, für diese Anforderungen jedoch eher geringer qualifizierte BA-AbsolventInnen besetzt werden. Für die in den Betrieben Ausgebildeten verringern sich somit die Aufstiegschancen im betriebsinternen Arbeitsmarkt, und die betriebliche Ausbildung verlöre an Attraktivität für die Jugendlichen (siehe Lutz, Burkart, »...dann wird der Facharbeiter als Sozialfigur nicht überleben« (Interview), in: Süddeutsche Zeitung, Beilage Nr. 38 (15.02.1990), S. 6-7); eben die vorbildliche betriebliche Ausbildung, die der amerikanische Präsident Clinton gerade einzuführen versucht. Denn bisher stellen in den USA die zweijährigen Community Colleges - der halbe Weg zum vierjährigen BA - die Berufsausbildung dar.

Bei diesen Unterschieden der Bildungssysteme verwundert es kaum, daß die deutsche Industrie für BA-AbsolventInnen bisher keinerlei Arbeitsplatzbeschreibung geben kann, keinerlei Bedarf für diese Ausbildungsform belegen kann und großteils diesen Bedarf auch nicht sieht. Arbeitsplätze für "wissenschaftlich" Ausgebildete werden sehr wahrscheinlich weiterhin an Diplom, Magister- oder Master-KandidatInnen vergeben.

Das Beispiel Schwedens und Dänemarks zeigt, daß sich bei staatlicher sozialer Absicherung aller Studierenden und Studiengebührenfreiheit 90% für die Weiterqualifizierung und damit für den dort postgradualen Master-Studiengang entscheiden. Anzunehmen ist aber, daß eine sozial ungerechte Selektion dann stattfindet, wenn der Master-Studiengang als 'Aufbaustudiengang' (und langfristig eventuell sogar als Ersatz von Diplom und Magister) mit der Bafög-Novelle aus der staatlichen Förderung herausgenommen werden sollte. Damit würde nicht Leistung, sondern die finanzielle Situation über eine weitere Qualifikation entscheiden.

Ohne Garantie der sozialen Absicherung entzieht sich die Gesellschaft der Verantwortung, Ausbildung und Weiterbildung als ein individuelles Recht bereitzustellen.

Der Gesetzentwurf sieht für Diplom- und Magisterstudiengänge an den Fachhochschulen sieben Semester, an der Universität neun Semester Regelstudienzeit vor (§ 85 Abs. 2). Dem 'Bachelorgrad' wird ein Studium von 6-8 Semestern Länge zugeordnet (§ 85 Abs. 3). Dies zeigt eine erstaunliche Konzeptionslosigkeit, was unter einem Bachelor verstanden sein will. Wie wenig eindeutig der Begriff Bachelor ist, zeigt ein Blick auf das Ausland:

Während im anglo-amerikanischen System der Bachelor meist einen Studiengang ohne wissenschaftliche und eigenständige Abschlußarbeit vorsieht, auf den dann ein postgradualer Ph.D.- oder Master-Studiengang aufgebaut wird, verleihen die Niederlande für einen Abschluß an den HBOs - diese sind etwa äquivalent zu den deutschen Fachhochschulen - den Bachelor, an den Universitäten dagegen den Master für in beiden Fällen vierjährige Studiengänge.

Innerhalb dieses Zusammenhanges ist es auch interessant die vermeintliche Vergleichbarkeit und Gleichwertigkeit des Titels Bachelor, gerade in den USA, zu widerlegen. "Für die Frage der gegenseitigen Anerkennung spielt die Bezeichnung Bachelor/Master eine relativ geringe Rolle; wesentlich wichtiger ist die Akkreditierung der jeweiligen Grade durch regional und überregional organisierte und sehr oft durch Berufsverbände beeinflußte Akkreditierungsinstitutionen." "Die Anerkennung der akademischen Grade ist keineswegs so eindeutig und transparent, wie es das Grundschema Bachelor-Master-Doktorat hoffen läßt. In den USA gibt es 3 000 verschiedene Bezeichnungen allein in den anerkannten Hochschulen". "mehr und mehr vermeidet man die Bezeichnung des Bachelors" und so werden zunehmend Master, zum Beispiel als Master of Business Administration (MBA), oder Doktortitel, z.B. als Juris Doctor (J.D.) als Abschlußtitel verwendet (aus Klaus Schnitzer, Bachelor- und Masterstudiengänge im Ausland, Juli 1998, Hannover in: HIS Kurzinformation). Die Forderung des Referentenentwurfes, daß die "einander entsprechenden Hochschulabschlüsse gleichwertig sind und die Möglichkeit des Hochschulwechsels erhalten bleibt" (§7 Abs. 1 Satz 6), wird sich vor diesem Hintergrund und nach einer propagierten 'Profilbildung' schwerlich aufrechterhalten lassen.

Eine EU-weite Regelung der Äquivalenz länderspezifischer Studienabschlüsse entspräche einem sinnvollen Internationalismus. Die Diversität und Charakteristik wird so keiner Dominanz eines Bildungssystems geopfert, wie sie sich etwa im Versuch einer vermeintlichen Vereinheitlichung unter den gemeinsamen Titeln BA und MA ausdrückt. Diversität benötigt nur die Vergleichbarkeit, nicht die kurzsichtige Nivellierung.

Indem der Bachelor die Chance der wissenschaftlichen eigenständigen Ausbildung verpaßt, indem er ein verschultes Studium ohne Abschlußarbeit vorsieht, entgeht der Gesellschaft das die Selbständigkeit und die analytischen Fähigkeiten fördernde Element einer wissenschaftlichen Ausbildung. Sie leistet einer 'den Schein mache ich auch schnell noch nebenher'-Mentalität Vorschub, die dem Begriff des 'Studiums' in keiner Weise mehr gerecht wird. Genau diese Eigenständigkeit der AbsolventInnen, dieser selbstbewußte Umgang mit ungewohnten Situationen ermöglicht aber die in der heutigen Gesellschaft geforderte Flexibilität in der Arbeitswelt und vermittelt die Fähigkeiten, an den demokratischen Diskussionsprozessen gestaltend teilzuhaben.

Schon § 84 (Studiengänge) nennt nicht mehr einen so wichtigen Bestandteil von Studiengängen wie noch das alte Universitätsgesetz: "Studiengang ... ist ein ... auf ein bestimmtes Ausbildungsziel gerichtetes Studium" (§83 des noch geltenden UG). Hier manifestiert sich am deutlichsten die Konzeption des Gesetzentwurfes mit seiner reinen Ausrichtung auf "berufsqualifizierende" Abschlüsse, anstatt auf ein von den Studierenden selbst gewähltes Ausbildungsziel, insbesondere in den Magisterstudiengängen, für die es kein eindeutiges Berufsbild gibt.

Auch das Grundprinzip der Verknüpfung von Forschung und Lehre wird beim Bachelor weitgehend aufgegeben, indem er das forschende Lernen innerhalb einer Abschlußarbeit nicht mehr vorsieht.

Es geht also in der modischen Diskussion über Bachelor und Master um mehr als den Streit um kürzere Studienzeiten; eine Diskussion, die nur die mangelnde Finanzierung und Stellenausstattung verdecken soll. Mit ihr einher geht die an ökonomischen Zielen ausgerichtete Ausbildung anstatt eines an der sozialen Partizipation und den demokratischen Interessen einer Gesellschaft orientierten Studiums.

Auch das häufig mit dem Bachelor-Master-System zusammen behandelte credit-point-system stellt allein noch keine Internationalisierung dar. Bei einem Wechsel der Universität oder nach einem Auslandssemester sollte einer Anrechnung der dort erbrachten Studienleistungen die inhaltliche Begutachtung zugrunde liegen. Von einem Credit-Point-System wird erhofft, den Studierenden Sicherheiten bei der Anrechnung zu geben. Die damit verbundenen Probleme der Akkreditierung zeigen jedoch die langjährigen Erfahrungen Amerikas:

Die "Leistungskumulierungssysteme fördern in erster Linie die Durchlässigkeit in der jeweiligen Institution, aber nicht zwischen den Institutionen." (Klaus Schnitzer, Bachelor- und Masterstudiengänge im Ausland, Juli 1998, Hannover, in: HIS Kurzinformation)

So wird das modisch propagierte European Credit Point System (ECPS) auch kaum die Erwartungen erfüllen, die in es gesetzt werden.

Vor dem Studium zu absolvierende berufspraktische Tätigkeiten verlagern die Bringschuld auf die Studienbewerber und benachteiligen Studienbewerber aus einkommensschwachen Familien, da die staatliche Förderung (Bafög) nicht greift, nicht greifen kann, weil es dazu einer Immatrikulation bedürfte. Ihre Beschränkung auf maximal drei Monate, ist ein nur zaghafter Schritt in die richtige Richtung anstatt sich zu einer definitiven Absage durchzuringen.

Daß in § 84 Studiengänge, die Auslandssemester oder berufspraktische Studienphasen einplanen, um ein Semester verlängerte Regelstudienzeiten vorsehen dürfen, wäre prinzipiell begrüßenswert. Denn die gängige Praxis, die die in der Regel nicht entlohnten Praktika als Zusatzqualifikationen ansieht, verschließt den finanziell Schwachen diese Möglichkeit, da sie in den vorlesungsfreien Zeiten ihren Lebensunterhalt verdienen müssen. Bei nicht ausreichend vorhandenen Praktikumsplätzen wird aber nicht nur der Druck auf die Studierenden verlagert und ggf. die Studienzeiten bei gleichbleibender staatlicher Bafög-Förderung verlängert. Gleichzeitig ist die Einführung verpflichtender Praktika auch arbeitsmarktpolitisch fragwürdig, öffnet sie damit doch dem finanziellen Mißbrauch von Seiten der Unternehmen Tür und Tor. Sinnvoller wäre es, die Förderung von berufspraktischen Phasen und von Auslandsaufenthalten zu intensivieren z.B. durch Übernahme von ausländischen Studiengebühren, Aufstockung der Stipendien für Auslandsaufenthalte, Auslandsbafög, Verbesserung der Kontakte und Austauschprogramme zwischen den Universitäten, bessere Betreuung und Vermittlung von Praktika.

Das kann letztendlich die nicht sinnvolle Trennung aufheben, die Berufsorientierung und Wissenschaft trennt, ähnlich wie sie dem Mythos der praxisorientierten Fachhochschulen und der "wissenschaftlichen" Hochschulen weiter am Leben erhält (siehe A. 3: Annäherung).

Das Vorurteil, deutsche Universitäten seien für ausländische Studierende nicht attraktiv genug, trifft schlichtweg nicht zu.

Zum einen erfährt das deutsche Diplom im Ausland eine hohe Anerkennung, werden AbsolventInnen deutscher Universitäten im Forschungsbereich sehr geschätzt. Auch die deutsche Forschung genießt im internationalen Vergleich einen guten Ruf. So nutzen Studierende aus afrikanischen, asiatischen und Osteuropäischen Ländern zunehmend die Chance der deutschen Ausbildung, wenn auch noch nicht in einem mit Amerika oder Großbritannien vergleichbaren Maße.

Zum anderen besteht gerade aus osteuropäischen und afrikanischen Ländern eine höhere Nachfrage nach deutschen als nach anglo-amerikanischen Abschlüssen. Betrachtet man dann die hohen finanziellen Anforderungen (mind. 800 DM Gehalt, die ausländische Studierende für sich nachweisen müssen; für Studierende aus afrikanischen Ländern der Nachweis eines Sparkontos mit 20.000 DM Guthaben etc.), so hat man nicht nur den Grund für die mangelnde Internationalisierung, sondern fühlt sich an bayrische Argumente in der AusländerInnenpolitik erinnert, so insbesondere bei der Bevorrechtigtenregelung für Arbeitsplätze oder bei der drastischen Ausländergesetzgebung und der Praxis der Aufenthaltserlaubnis.

Finanzielle Unterstützung von Austauschprogrammen und die soziale Absicherung ausländischer Studierender in Deutschland wären auf Länder- und Bundesebene dementgegen ein richtiger Schritt, genauso wie der Ausbau der Modelle im Bereich des Spracherwerbs. Zum einen innerhalb Deutschlands in Form von einjährigen Deutschsprachkursen (Studienkollegs), zum anderen in den Entwicklungsländern; dort sind die Sprachkurse der Goethe-Institute für einen Großteil der Bevölkerung unerschwinglich. Entwicklungspolitik als Ausbildungspolitik verstanden, bringt gewiß den nachhaltigsten Effekt. Diese Chance sollte genutzt werden. Wenn im Gegenzug Praktikumsaufenthalte in Entwicklungsländern, woran durchaus Interesse seitens der deutschen Studierenden besteht, stärker gefördert würden, wäre der Wissensaustausch auf doppelter Ebene beschritten.

Wie konzeptionslos der Gesetzestext bisher bei den Studienabschlüssen ist, zeigt sich in dem Wirrwarr der Paragraphen 84, 85, 88 und 90. Von einem Gesetzestext ist eine klarere Sprache zu erwarten (siehe D.2: Verbot von Studiengebühren).

C.5 Studienberatung

Der Großteil der Studierenden fühlt sich heute - nach persönlichen Berichten - zu Beginn ihres Studiums und auch in dessen Verlauf weitestgehend allein gelassen. Die Gründe für diesen Eindruck liegen auf der Hand. Die gestiegene Zahl von Studierenden bei gleichzeitiger Stagnation oder Rückführung von Finanzmitteln der Hochschulen führt dazu, daß ein persönliches Betreuungsverhältnis fast nicht mehr möglich ist. Die Zahl der Studierenden pro Lehrendem/Lehrender hat sich drastisch erhöht. Dies führt dazu, daß einerseits Abläufe schematisiert werden mußten, damit sie überhaupt noch bewältigt werden konnten. Andererseits wurde aus dem Beratungsangebot eine bloße »Informationsmöglichkeit«, die - einmal bereitgestellt - von den Studierenden zunächst selbst entdeckt werden mußte, um dann genutzt werden zu können. Hinzu kommt, daß einem Teil der ProfessorInnen die widrigen Umstände ein willkommener Anlaß waren, die ungeliebten Aufgaben im Bereich der Lehre und hier speziell der Studierenden-Betreuung mit dem Hinweis auf die übergroße Zahl von Studierenden auf ein Mindestmaß zu reduzieren.

Daß eine bessere Studienberatung in mehr als einer Hinsicht notwendig wäre, darüber besteht weitgehende Einigkeit. Einmal ist es im Sinne der persönlichen Entwicklung des/der Einzelnen enorm wichtig, möglichst frühzeitig und kontinuierlich eine Resonanz auf die Entwicklung des Studiums und eine Fremdeinschätzung zu bekommen.

Des Weiteren ist es im Sinne der wissenschaftlichen Weiterentwicklung gleichfalls von Bedeutung, den wissenschaftlichen Nachwuchs breit zu betreuen und dies nicht der persönlichen Anbindung von Einzelnen an Einzelne zu überlassen.

Letztlich ist es auch eine Frage der Effektivität, ob es sich die Hochschulen weiterhin leisten wollen, einen nennenswerten Teil der Studierenden mit ihren Problemen und Fragen alleinzulassen. Die völlige Individualisierung der Sorge um den Verlauf des Studiums befördert ein »trial-and-error-Studium« und bedeutet in letzter Konsequenz eine tatsächlich überflüssige Verlängerung der Studiendauer. Hier wäre viel »verlorene« Zeit einzusparen, was auch einen bedeutenden Finanzfaktor darstellt.

Dem Bedarf entsprechend finden sich in allen neueren Gesetzgebungen erweiterte Regelungen zum Thema Studienberatung. Der Inhalt der entsprechenden Paragraphen jedoch hat mehr mit sanktionsbewährter Leistungsüberprüfung als mit tatsächlicher Beratung zu tun. Sinn und Zweck der Studienberatung kann aber keine stärkere Selektion von außen sein. Dies ignoriert, daß die Personen, die ein Hochschulstudium aufnehmen, bereits eigenverantwortlich denkende Erwachsene sind. Noch viel mehr widerspricht Zwangsberatung dem Ziel der Hochschulen, diese persönliche Entwicklung zu fördern und zur Selbstorganisation zu befähigen, was Grundlage jeder wissenschaftlichen Arbeit ist. Zum anderen sind durch solche notwendig unzulänglichen Ausleseverfahren keinesfalls effiziente Steuerungsimpulse für den Bereich der wissenschaftlichen Ausbildung zu setzen. Gefördert wird hingegen, wie es für viele aktuelle Entwicklungen gilt, eine Nivellierung der wissenschaftlichen Landschaft. Dringend notwendige Innovationspotentiale außerhalb eines »Mainstreams« von wissenschaftlichen Interessen werden so immer mehr zurückgedrängt.

Die Anforderung an eine wirklich praktikable Studienberatung wären hingegen:

Der Entwurf zum Landeshochschulgesetz NRW verstärkt die Beratungspflicht der Hochschulen. Allerdings entsprechen die Regelungen kaum den genannten Anforderungen. Zwar betont der entsprechende Paragraph 83 in Absatz 1, daß die Beratung während des gesamten Studiums erfolgen soll. Nach Absatz 2 aber orientiert sich die Hochschule »spätestens bis zum Ende des zweiten Semesters über den bisherigen Studienverlauf, informiert die Studierenden und führt gegebenenfalls eine Studienberatung durch.«

Grundsätzlich ist zu begrüßen, daß sich Hochschulen mehr um ihre Studierenden kümmern sollen. Fraglich sind jedoch die gewählten Mittel. Schon generell ist der Nutzen einer Zwangsberatung aus genannten Gründen höchst zweifelhaft. Völlig unmöglich ist es, nach Ablauf von zwei Semestern eine Aussage über Chancen und Erfolgsaussichten eines Studiums zu treffen. Zudem liegen keinerlei Kriterien vor, an denen die Notwendigkeit einer solchen Beratung festgemacht werden könnte. Gerade bei Universitäts-Studiengängen findet die erste verbindliche Leistungsüberprüfung nach vier Semestern mit einem Vordiplom oder einer Zwischenprüfung statt. Bereits diese wurde unter Zwang und gegen den Widerstand von allen Gruppen der Hochschulen eingeführt. Ihre mangelnde Praktikabilität für viele Fachbereiche hat sich inzwischen erwiesen. Eine Prüfung nach zwei Semestern würde die Organisationsfreiheit der Studierenden weiter einschränken. Fast nichts mehr könnte der persönlichen Zeiteinteilung überlassen bleiben.

Prinzipiell ist es einer wissenschaftlichen Ausbildung keinesfalls hinderlich, wenn die ersten beiden Semester weniger zählbare Leistungsnachweise ergeben. Oftmals gehen die entscheidenden Impulse für eine wissenschaftliche Entwicklung und das Selbstverständnis nicht von den bereits kanonisierten Angeboten aus, die meist in den Pflichtkursen behandelt werden.

Zudem führt die im Referentenentwurf vorgesehene Regelung keinen Schritt weg von der schematisierten, anonymen Beratung. Wieder würden die Betroffenen nach standardisierten Vorgaben beurteilt.

Viel sinnvoller wäre es daher, auf dezentraler Ebene die Beratungsangebote zu verbessern. Hierzu müßten besonders ProfessorInnen stärker, als dies in §45 Abs. 1 der Fall ist, zur Beratung verpflichtet werden. Dies gilt auch und besonders für die vorlesungsfreie Zeit. Die gängige Praxis, ein oder zwei Sprechzeiten während dieser Phase anzubieten, ist unzureichend.

Generell muß gesagt werden, daß alle Maßnahmen zur Verbesserung der Studienberatung ohne eine Verbesserung der Personalausstattung lediglich »politische Lyrik« bleiben.


C.6 Durchlässigkeit von Statusgruppen

Die seit den achtziger Jahren wieder stärker gewordene Abschottung der Statusgruppen vor allem an den Universitäten hat nicht unwesentlich zur Reformunfreudigkeit an den Hochschulen und zu internen Lähmungen beigetragen. Berufsständische Strukturen, die kein Ausweis demokratischer Systeme sind, konnten so erhalten bleiben. Dabei ist vor allem die Gruppe der Wissenschaftlichen MitarbeiterInnen in der Praxis zunehmend allein auf Lehr- und Verwaltungsaufgaben festgelegt worden. Die Art, in der vor allem das Universitätsgesetz in den letzten Jahren fortgeschrieben worden ist, hat durch die Stärkung der Gruppe der HochschullehrerInnen erheblich zu diesem Prozeß beigetragen.

Durchlässigkeit muß demgegenüber an den Hochschulen wieder stärker von unten möglich werden. Das Landeshochschulgesetz kann dafür den notwendigen politischen Rahmen schaffen und so die Mitbestimmung für den Arbeitsalltag an den Hochschulen fördern, für die Hochschule in einer demokratischen Gesellschaft eine selbstverständliche Zielsetzung. Die Schritte, die der Referentenentwurf in dieser Richtung geht, bleiben angesichts der Strukturkrise an den Hochschulen ungenügend. Hier herrscht noch immer eine Politik der kleinen Schritte, mit der den Einzelnen aber nur um so mehr abverlangt wird. So ist es zwar zu begrüßen, wenn Wissenschaftlichen MitarbeiterInnen Lehraufgaben »zur selbständigen Wahrnehmung in begründeten Fällen durch den Fachbereichsrat im Benehmen mit den fachlich zuständigen Professorinnen und Professoren übertragen werden« können (bisher war das ohne Lehrauftrag nicht möglich) und solche Lehraufgaben dann »als Erfüllung der Lehrverpflichtung« gelten (§59 Abs. 2); die Begründung indes können viele Wissenschaftliche Mitarbeitende nur wie eine schallende Ohrfeige empfinden: »Hierdurch sollen besonders qualifizierte und motivierte wissenschaftliche MitarbeiterInnen ein höheres Maß an Eigenständigkeit in ihrer wissenschaftlichen Arbeit erhalten.« Sich als WissenschaftlicheR MitarbeiterIn ausgebildet zu haben reicht als Qualifikation für eigenständige wissenschaftliche Arbeit nach solcher Erklärung offensichtlich nicht mehr aus. Gegen derartige Disqualifizierungstendenzen sei dann einmal festgestellt: Motivation und Kreativität lassen sich in einem Abhängigkeitsverhältnis, das der Qualifikation der betreffenden Gruppe von Hochschulangehörigen Hohn spricht, nicht schaffen. Eine entsprechende Argumentation kann man für die Neuerungen führen, mit denen die Stellung der Wissenschaftlichen AssistentInnen verbessert werden soll (§ 56).

An der Stellung der Wissenschaftlichen Hilfskräfte (§ 61) und der Studentischen Hilfskräfte hat sich gleich gar nichts geändert, was die in den letzten Jahren zunehmend sichtbaren Probleme (Zugehörigkeit zur Sachmittelgruppe und daraus resultierende schwache soziale Absicherung, Rechtlosigkeit und Ausbeutung; demgegenüber die Forderung nach einem Tarifvertrag) in diesem Bereich völlig unberücksichtigt läßt. Demokratische und sozial verantwortliche Bildungspolitik muß sich an dem messen lassen, was sie für diejenigen durchsetzt, die in der Hierarchie der Hochschulen ganz unten stehen.

Gesetzliche Regelungen, welche die Stellung der nicht-professoralen Gruppen stärken und so die im Referentenentwurf aufgestellten Forderungen nach Eigenständigkeit und Selbstverantwortung nicht länger nur Lippenbekenntnisse bleiben lassen, sind die bei allen Deregulierungsbemühungen unverzichtbare Grundlage dafür, daß die Hochschulen effizienter arbeiten können. Langfristig effizient läßt sich dort, wo Innovation ,erzeugt' werden soll, nur handeln, wo zugleich eine Struktur der Durchlässigkeit, der Demokratisierung, der Partizipation sowie der individuellen und sozialen Entfaltung geschaffen wird. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang zusätzliche Reformanstrengungen, die eine weniger ständische und mehr an Inhalten orientierte Praxis etablieren helfen müssen. Die Durchlässigkeit zwischen den Statusgruppen zu erhöhen trägt zur Enthierarchisierung der Hochschulen bei und schafft so einen Raum, in dem inhaltliche Leistung sich endlich 'lohnen' wird, womit dann allerdings deutlich anderes gemeint ist, als es der ökonomistisch eingeschränkte Leistungsbegriff und der darauf sich beziehende Slogan konservativer Politik meint. Die inhaltliche Perspektive ermöglicht sinnvoll und selbstverantwortet erfahrene Arbeit, die alle künstlich geschaffenen Anreizsysteme zur Leistungssteigerung überflüssig macht. Mehr noch: Sie läßt solche Anreizsysteme als die Fortsetzung einer falschen, auf Wirtschaftsliberalismus verkürzten Politik erkennen.

Ein Beispiel dafür, wie verschiedene Problemstände in einer über den Referentenentwurf hinausgehenden Reformanstrengung zu verknüpfen sind, sei hier angeführt. Es skizziert wirklich reformerische Regelungen für die Gruppe der Wissenschaftlichen AssistentInnen, deren Stellung im ,Dazwischen' heute darum nicht produktiver ist, weil in einer undurchlässigen Struktur jede Stellung zwischen den Gruppen schnell zu einem Nirgendwo wird. Wenn dann an entscheidenden Stellen auch die soziale Absicherung zum Problem wird, erhöht das die Unattraktivität eines an sich äußerst interessanten Berufsfeldes. So gehören Nachwuchssorgen in vielen Fächern heute schon zum Arbeitsalltag - das allerdings geht dann gleich doppelt zu Lasten der Qualität von Forschung und Lehre.

Die Öffnung im Bereich der Habilitation als Voraussetzung für die Berufung zum ProfessorInnenamt ist im HG NW zaghaft ausgefallen (vgl. § 46 Abs. 1); »auf die Habilitation als Regeleinstellungsvoraussetzung für Professorinnen und Professoren« werde »verzichtet und damit der Nachweis zusätzlicher wissenschaftlicher Leistungen von Stellenbewerberinnen und Stellenbewerbern offener gestaltet«, führt der Kommentar dazu aus. In der entfachten Diskussion um den Sinn des Habilitationsverfahrens im Vergleich mit anderen europäischen Regelungen wird hier der Weg einer vorsichtigen Aufweichung bisheriger Regelungen gewählt, gerade auch vor dem Hintergrund der Zusammenfassung von UG und FHG. Was wichtiger ist, die neue Regelung vermag das grundlegende Strukturproblem für die Betroffenen nicht zu lösen. Damit das soziale Risiko für angehende AssistentInnen berechenbarer wird und zugleich verstärkt Frauen für diesen Qualifizierungsschritt gewonnen werden können (die Frauenquote fällt hier heute wegen der starren Bindung von Qualifikationsschritten und Lebensabschnitten in Verbindung mit beamtenrechtlichen Regelungen deutlich ab), bedarf es einer weitgehenden Umstrukturierung im Bereich des Wissenschaftlichen Nachwuchses.

Mit dem einfachen Abschaffen der Habilitation, wie es oft gefordert wird, sind die Probleme keineswegs schon gelöst. Denn es gibt Fächer, in denen gerade die Habilitationen noch immer eine Art Zusammenschau ermöglichen, die in anderen Forschungssegmenten nicht geleistet wird, und die damit eine wichtige Funktion innerhalb der Forschungslandschaft dieser Fächer haben. Dafür daß die Qualifikation als Hochschullehrende über die Durchführung und Leitung von Projektarbeiten erfolgen könnte, lassen sich mehrere gute Gründe anführen. Statt eine isolationistische, zur Undurchlässigkeit anhaltende Arbeitsweise zu forcieren, würde man mit derartigen Habilitationsleistungen teambezogene Formen der Arbeitsorganisation stärken, den Zusammenhang von Forschung und Lehre zur alltäglichen Erfahrung der weiteren wissenschaftlichen Qualifikation machen und Studierende so an die Forschung heranführen. Der Zusammenhang von Innovation und sozialer Verantwortung könnte damit zur Praxis des Hochschulalltags werden. Deregulierung könnte hier also bedeuten, daß der Gesetzgeber verschiedene Wege, die zur Qualifizierung der Hochschullehrerin und des Hochschullehrers führen, als gleichwertige ausweist, den einzelnen Fachbereichen dann für ihre Habilitationsordnung die jeweils bevorzugte Modalität als Wahl zwischen festumschriebenen und dadurch vergleichbaren Wegen freistellt. Den zahlreichen Vorschlägen, die zum Thema Habilitation inzwischen in der Debatte sind, kommt der Referentenentwurf in keiner Weise nach.

Ein wichtiges Moment sollte dabei die soziale Problematik sein. Noch immer werden WissenschaftlerInnen ausgebildet, die am Ende eines langen Bildungsweges nicht selten in die Sackgasse eines verschlossenen Arbeitsmarktsegments laufen. Ein neues Hochschulgesetz könnte diese auch volkswirtschaftlich untragbaren Zustände beheben helfen. Denkbar wäre etwa, eine Absicherung für diejenigen festzuschreiben, die die weitere Qualifizierungsstufe Habilitation aus einem Arbeitsverhältnis an der Hochschule anstreben; eine solche Absicherung müßte auf der zuvor bereits erlangten Qualifizierungsebene erfolgen. Wo die Betroffenen über eine Akademische Rats- oder eine Studienrat-im-Hochschuldienst-Stelle abgesichert wären, von hier aus einen Antrag auf eine befristete Entlastung im Bereich der Lehre für die Abfassung einer Habilitationsschrift stellen könnten (eine strukturell wichtige Voraussetzung für Übersichtsarbeiten) und beim Nichterreichen dieses weiteren Qualifikationsziels wieder auf die Rats- oder Studienrats-Stelle übernommen würden, schüfe man Anreize und Möglichkeiten, die wissenschaftliche Biographien nicht nur berechenbarer, sondern auch lebenszeitlich individueller gestaltbar machten und so die Arbeit der Gesamteinrichtung dynamisieren könnten. Das wäre eine wichtige Voraussetzung auf dem Weg zur Erhöhung des Frauenanteils in den gehobenen Positionen der Hochschulen. Orientiert an der Größe eines Fachbereiches und am mittelfristigen Arbeitsmarktbedarf, würde ein Fachbereich statt der bisherigen AssistentInnenstellen Weiterqualifizierungsstellen zugewiesen bekommen, die er mittels Fachbereichratsentscheidung besetzen kann. Wird eine Weiterqualifizierungsstelle mit einer/einem Wissenschaftlichen MitarbeiterIn besetzt, steht die auf Zeit frei werdende Stelle für ein befristetes Arbeitsverhältnis oder für Ausbildungsarbeitsverhältnisse (Wissenschaftliche Hilfskräfte, DiplomandInnen, DoktorandInnen) zur Verfügung. So ließe sich die Durchlässigkeit der Ebenen über die geänderte Arbeitspraxis vergrößern. Grundvoraussetzung für die Durchführbarkeit eines derartigen Weiterqualifizierungsmodells bleibt aber, daß die in den letzten Jahren auf den Kopf gestellte Pyramide hinsichtlich der Verteilung von Mittelbau- und Professorenstellen, wieder in die stabilere Lage zurückgesetzt wird. Die Hochschulen brauchen eine Verstärkung eines eigenständig forschen und lehren dürfenden Mittelbaus; nachgedacht werden sollte einmal über die Zurückführung der Zahl schlecht ausgestatteter ProfessorInnenstellen. Was die Zahl der Professuren und deren Funktion im Wissenschaftsbetrieb betrifft, könnte sich die Reform des deutschen Hochschulsystems durchaus einmal an der Praxis englischer Universitäten orientieren. Über Forschung qualifizierte Wissenschaftliche Mitarbeitende an deutschen Hochschulen den Senior Lecturers vergleichbar zu stellen, wäre ein wesentliches Moment der Verstetigung wissenschaftlichen Arbeitens über eine Grundqualifikationsphase hinaus.

Große Bedeutung für die innere Durchlässigkeit in den Hochschulen kommt der Beteiligung von Studierenden an der Forschung zu. Wo immer es möglich ist, muß die Lehre den Zusammenhang mit der Forschung herstellen, gerade auch in der Weise, daß Studierende sich nicht als Kunden, sondern als aktiv mitgestaltenden Teil der Hochschulen erfahren können. Das erfordert speziell zu gestaltende Studienprojekte, welche die Seminare teilweise ersetzen. Wissenschaftliche Praxisbezüge, eine Anwendungsbezogenheit der Lehre und die bessere Reaktion auf sich ändernde Anforderungsprofile, dann die Förderung sozialer Arbeitsformen, die inhaltliche und schwerpunktmäßige Ausrichtung des Studierens, individuellere Betreuungsmöglichkeiten, das sind nur einige der Vorzüge von Studienprojekten. Für die Projektarbeit sind darum zusätzliche Mittel bereitzustellen.

C.7 Chancengleichheit

Die vielfältigen Versuche neoliberaler Bildungspolitik, gerade auch die Hochschulen zu Freiräumen einer aggressiv proklamierten Risikogesellschaft umzudefinieren, sind vor dem Hintergrund gesellschaftsgeschichtlicher Entwicklungen zu sehen. Die Geschichte der Bundesrepublik ist dabei bestimmt von einer allmählichen Überlagerung der dominierenden Besitzklassenstruktur mit einer Leistungsklassenstruktur (zur Begrifflichkeit: Klassen in der europäischen Sozialgeschichte, hg. von Hans-Ulrich Wehler, Göttingen 1979, S. 150-155) und der ihnen eigenen Kapitalsorten auch jenseits des ökonomischen Kapitals (Bourdieus Unterscheidung zusätzlicher kultureller, sozialer Kapitalsorten zur subtilen Neufassung des klassengeschichtlichen Grundantagonismus). Doch beinhaltet die zunehmende Bedeutung der Leistungsklassen nicht zwangsläufig mehr Gleichheit oder auch nur Chancengleichheit. Das hat die konservative Wende in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens erfahrbar gemacht. Wo sich die Bedeutung der unterschiedlichen Leistungsklassen aus ihrer Stellung im Kräftedreieck von Marktmacht, Staatsmacht und Verbandsmacht herleitet (zur Begrifflichkeit: Wehler 1979, S. 199-202), ergibt sich eine dreidimensionale Struktur der Klassenbildung. Das Zusammentreffen von großer Marktmacht, starker Verbandsmacht und gutem Zugang zur Staatsmacht ergibt jene Dominanz von Interessenrepräsentation, die im Zuge neoliberaler Entwicklungen nun auch strukturell Einfluß auf die Hochschulen gewinnen will. Forderungen nach einer leistungsbezogenen Finanzierung der Hochschulen, nach einer verstärkten Förderung der Eliten und nach einer managementartigen Reform der Leitungsstrukturen in den Hochschulen müssen vor diesem gesellschaftlichen Hintergrund beurteilt werden. Solchen Zusammenhang auszublenden bedeutet, die gesellschaftlich finanzierten Hochschulen zum Instrument derjenigen Funktionsklassen zu machen, die schon heute über das Zusammenspiel von Marktmacht, Verbandsmacht und Staatsmacht dominant sind.

Die Hochschule als Ausdruck und Entwicklungsmoment des demokratischen Interessensausgleichs hingegen bedarf des Leitbildes der Chancengleichheit über die Grenzen der Funktionsklassen hinweg. Das Erbringen von Leistung darf nicht zum Privileg bestimmter Funktionsklassen werden, sondern muß wieder für alle möglich werden. Was dabei jeweils als Leistung gilt, darf nicht eindimensional (etwa nach kurzfristigen betriebswirtschaftlichen Maßstäben) festgelegt sein, sondern muß im Konflikt unterschiedlicher Gesellschaftsentwürfe jeweils neu zwischen den Funktionsklassen ausgehandelt werden. Leistung als Marktkonformität festschreiben zu wollen ist nur der Ausdruck eines bestimmten Klasseninteresses, das eindimensional auf das ökonomische Kapital fixiert bleibt; nicht gerecht wird diese Einschränkung der zunehmend komplexer gewordenen Klassengesellschaft, den ihr daraus erwachsenden sozialen Möglichkeiten unterschiedlicher Partizipationsfelder und der daraus wiederum resultierenden Demokratisierung. Den Hochschulen als Raum eines dem geschichtlichen Entwicklungsstand entsprechenden Leistungsbegriffs kommt gegenüber derartigen Verkürzungsversuchen eine kritische Funktion zu. Darüber hinaus kommt den Hochschulen als Raum des immer wieder neu zu hinterfragenden Leistungsbegriffs in besonderer Weise eine konstruktive Funktion zu. Der vorliegende Referentenentwurf sieht gerade diese beiden Aspekte anders, wenn er einen betriebswirtschaftlich verkürzten Leistungsbegriff auf die Hochschulen übertragen will. Den Bildungssektor und insbesondere die Hochschulen so zu organisieren, daß eine möglichst weitgehende Chancengleichheit etabliert werden kann, bedeutet zugleich, das Gefüge der Funktionsklassen dynamisch zu halten und damit die Voraussetzung für eine entwicklungsfähige Demokratisierung aller gesellschaftlichen Bereiche zu schaffen.

Chancengleichheit erschließt erst eine gleichberechtigte Existenz in der Vielfalt, ist so Ausdruck und Fundament einer pluralistischen demokratischen Gesellschaft. Unter den bestehenden Verhältnissen mannigfaltiger Ungleichheit ist Chancengleichheit nicht einfach dadurch herzustellen, daß die gleichen Bedingungen für alle gelten. Es bedarf vielmehr der spezifischen Förderung der im bisherigen Gesellschaftsgefüge Benachteiligten. In dieser Weise zu fördern sind finanziell Schwache, die in einer zunehmend nach Leistungsklassen sich differenzierenden Gesellschaft nicht zusätzlich dadurch benachteiligt werden dürfen, daß die aus der Besitzklassenstruktur verbliebene Ungleichheit ihre Startchancen mindert. Zu fördern sind Behinderte und Angehörige sozialer Randgruppen, weil sie aufgrund der habituellen Organisation von Gesellschaft vergleichbare Leistungen nur mit erhöhtem Einsatz erbringen können.

Aufgrund sprachlicher und kultureller Barrieren gilt Ähnliches für AusländerInnen; zu fördern sind unter dem Aspekt der Chancengleichheit hier besonders jene ausländischen Studierenden, die unter ökonomischen, sozialen, ethnischen oder religiösen Aspekten nicht zu den leicht in das Gesellschaftsgefüge des Gastlandes Integrierbaren rechnen. Angebote für ausländische Studierende sollten sich stärker als bisher an den Erfordernissen derjenigen orientieren, die nicht aus nordamerikanischen oder westeuropäischen Ländern zum Studium an deutsche Hochschulen kommen. Die finanzielle Lage dieser Studierenden erfordert Änderungen bei der Erteilung von Arbeitserlaubnissen (Aufheben der Bevorrechtigtenklausel beim Besetzen von Arbeitsplätzen; Änderung der Blockarbeitserlaubnis im Fachstudium hin zu einer wöchentlich begleitenden Arbeitserlaubnis), damit ein Studienaufenthalt jenseits der Illegalität von den ausländischen Studierenden finanziert werden kann. Gerade im Bereich ausländischer Studierender muß sich die Hochschulpolitik als Beitrag zur strukturellen Entwicklungshilfe verstehen; die finanzielle Förderung sozial Benachteiligter aus den Gastländern könnte hier einen Ausgleich gegenüber der sozialen Bildungsselektion schaffen. Gerade das deutsche Hochschulsystem mit seinen spezifischen Komponenten an selbständiger Arbeit wird von ausländischen Studierenden oft deshalb bevorzugt, weil es über bloßes Wissen vor allem Problemlösungskompetenz vermittelt und zu Eigenständigkeit und Unabhängigkeit qualifiziert. Entsprechendes gilt für deutsche Abschlüsse, die in vielen Entwicklungsländern und in den osteuropäischen Staaten ein hohes Ansehen genießen.

Über alle Funktionsklassen und Benachteiligungen hinweg sind die Hochschulen als emanzipatorischer Raum verpflichtet, die Chancengleichheit für Frauen real herzustellen. Das Landeshochschulgesetz sollte in allen diesen Bereichen mangelnder Chancengleichheit organisatorische Standards (etwa in Form von Beauftragten oder Räten) flächendeckend vorschreiben, um so strukturell Benachteiligungen abbauen zu helfen. Über sehr allgemein gehaltene Aufgabenbeschreibungen hinaus (§ 3 Absätze 3, 6, 7), die Funktionsbeschreibung der Gleichstellungsbeauftragten (§ 23) und eine begrüßenswerte Modifizierung im Bereich des Hochschulzugangs für ausländische Studienbewerberinnen und Studienbewerber mit deutschsprachiger Hochschulqualifikation (§ 69) enthält der Referentenentwurf hier nichts Nennenswertes. Gerade die Förderung ausländischer Studierender (etwa über zusätzliche Angebote) kann dazu beitragen, über die Hochschulen ein anderes, integrativeres Klima zu schaffen. Solche Öffnung für ihre Inhalte und Belange könnte Studierende aus dem Ausland wieder verstärkt an deutsche Universitäten ziehen; sie trägt als inhaltliche und kommunikative Bereicherung der deutschen Studienlandschaft sicherlich stärker zur Internationalisierung des deutschen Hochschulwesens bei, als dies mit einer rein organisatorischen Übernahme von vermeintlich international standardisierteren Hochschulabschlüssen (Bachelor, Master) der Fall ist (siehe C.4: Studienabschlüsse). Auf jeden Fall wird so die Vielfalt weiter ausgebaut, wohingegen die Internationalisierungsbemühungen des neuen Hochschulrahmengesetzes wie des Referentenentwurfs darauf abzielen, eine bestehende, inhaltlich im einzelnen zu überprüfende und gegebenenfalls umzugestaltende Differenzierung zugunsten von Normierungen abzubauen.

Erst wo über eine ausgebaute Förderung mehr Chancengleichheit beim Zugang wie beim Arbeiten in den Hochschulen hergestellt ist, wird die wissenschaftlich sinnvolle Förderung von Eliten zum Ausdruck einer offenen Gesellschaft. Das Schaffen von Chancengleichheit muß als Voraussetzung für eine Elitenförderung verstanden werden, die gesellschaftlich rückgebunden bleibt. Wo sich eine Gesellschaft über Leistungsklassen ausdifferenziert, dürfen auch Eliten nicht mehr ausschließlich über die Marktmacht definiert werden.

Ein wichtiges Moment für die Gewährung von Chancengleichheit ist - unter den gegenwärtigen (zum Teil ökonomisch bedingten) Verhaltensweisen der Studierenden - das möglichst flächendeckende Angebot von Studienmöglichkeiten (siehe A. 3: Annäherung). Die breite Streuung von Hochschulen, wie sie gerade in Nordrhein-Westfalen seit den siebziger Jahren besteht, ist für viele, gerade aus Familien mit niedrigem Einkommen stammende Studierende eine wesentliche Voraussetzung, ein Studium überhaupt aufnehmen zu können (elternhausnahe Studienmöglichkeit). Die unter dem Stichwort »Regionalisierung« geführte Debatte um die kritische Analyse der gewachsenen Hochschullandschaft, die vor dem Hintergrund finanzpolitischer Engpässe erfolgt, und daraus abgeleitete Synergiebemühungen, etwa beim funktionalen Zusammenlegen von Studiengängen, dürfen die sozialen Momente einer dezentralen und breiten Hochschullandschaft im Bildungsland Nordrhein-Westfalen nicht unberücksichtigt lassen.

Wo verstärkt Anstrengungen unternommen werden, damit Entwicklung nicht aufgrund von Ungleichheit unmöglich bleibt, darf das Herstellen von Chancengleichheit aber nicht auf die Startchancen innerhalb eines Sozialisierungsprozesses beschränkt bleiben. Wo Biographien zunehmend Brüche aufweisen, die Fragmentarisierung des Lebens in immer stärker differenzierte Lebensabschnitte eine notwendige Folge der Differenzierung aller Lebensbereiche zu sein scheint, hat die Gesellschaft in ihrer Organisationsweise auch dafür zu sorgen, daß den erhöhten Risiken für jedeN EinzelneN auch bessere Chancen gegenüberstehen. Darum gilt es, Strukturen zu schaffen, die es ermöglichen, Chancengleichheit innerhalb eines lebenslangen Prozesses von Umorientierungen bereitzustellen (siehe B.4: Weiterbildung). Chancengleichheit in diesem Sinne betrifft dann in besonderer Weise den Bildungszugang innerhalb einer fortgeschrittenen Arbeitsbiographie. Es gilt hier verstärkt Möglichkeiten des Hochschulzugangs für diejenigen zu schaffen, die sich nicht über den primären Weg der allgemeinen Hochschulreife, sondern über berufliche Leistungen qualifiziert haben.

Weil auch heute der Zugang zu und die Anwendbarkeit von Wissen und Bildung in erster Linie von der Ausstattung mit Kapital abhängig ist, kann das Herstellen von Chancengleichheit nur gelingen, wo finanzielle Ungleichheiten zumindest für die Zeit der Hochschulzugehörigkeit abgefangen werden. Dazu bedarf es einer umfangreichen Reform der Studierendenförderung. Die finanzielle Förderung von Studierenden sollte nicht länger als Reparaturleistung des Sozialstaates, sondern als gesellschaftliche Gestaltungsmöglichkeit verstanden werden, die darauf Wert legt, die Durchlässigkeit der Funktionsklassen zum Fundament ihres demokratischen Selbstverständnisses zu machen.

Was ein neues Landeshochschulgesetz zur Herstellung von Chancengleichheit beiträgt, ist ein zentraler Gradmesser für die Fortschrittlichkeit einer zweiten Bildungsreform.

C.8 Hochschulzugang

Das gegenwärtige System der Zugangsberechtigung zu akademischen Einrichtungen besteht schon seit über 150 Jahren. Mit den preußischen Reformen des Hochschulwesens Anfang des 19. Jahrhunderts ging eine Reform der Schule einher, die das Abitur vereinheitlichte und zur Voraussetzung für ein Studium machte. Zuvor führte jede Hochschule nach eigenem Ermessen Auswahltests unter den Bewerbern durch. Bis auf den heutigen Tag hat sich an der damals getroffenen Regelung nicht viel geändert. Allerdings wurde in den siebziger Jahren, gespeist aus wachsendem Unmut über die Reformunfähigkeit des Bildungssystems und dem steigenden Bedarf nach höherqualifizierten Arbeitskräften, die Oberstufe neu geordnet. Der Pflichtanteil von Kursen wurde zugunsten einer höheren Wahlfreiheit herabgesetzt. Das feste Klassensystem mit Haupt- und Nebenfächern durch relativ frei kombinierbare Grund- und Leistungskurse ersetzt. Im Zusammenhang mit dieser unter den Stichworten »Wahlfreiheit« und »Schwerpunktbildung« zusammenzufassenden Reform wurde auch die integrierte Gesamtschule von öffentlicher Seite gefordert und gefördert. Sie sollte gegenüber dem dreigliedrigen Schulsystem für mehr Durchlässigkeit und Chancengleichheit sorgen.

Auf der Seite der Hochschulen wurde mit ganz ähnlicher Motivation das Konzept der Gesamthochschule entwickelt. Auch hier stand die Zusammenfassung »theoretischer« und »praktisch orientierter« Bildungselemente im Vordergrund (siehe A.3: Annäherung statt Wettbewerb). Dieser »ersten Bildungsreform« entsprach die Öffnung der Hochschulen, sowie die Abschaffung von Studiengebühren, der sogenannten »Vorlesungsgelder«. So sollte speziell Jugendlichen aus sozial schwachen Familien das Studium ermöglicht werden. Genau in diesem Zusammenhang stand auch die Einführung des BAföG.

Die heutige Situation ist geprägt von einem ganz anderen Klima. Etwa 1,8 Millionen Studierende sind an den deutschen Hochschulen eingeschrieben. Vielerorts sollen Fachbereiche seit Jahrzehnten eine Überlast bewältigen, die bei bis zu 200 % liegt. Hintergrund dieser Entwicklung ist die Entscheidung der damaligen sozial-liberalen Regierung Schmidt, Ende der siebziger Jahre den Hochschulausbau zu beenden. Man nahm dabei bewußt in Kauf, daß die bis dahin bestehenden Kapazitäten in den folgenden Jahren nicht alle Studierwilligen würden aufnehmen können. Als Grund wurden die geburtenschwachen Jahrgänge angegeben. Von denen erhoffte man sich eine deutliche Entlastung, weniger AbiturientInnen. Man wollte »den Studentenberg untertunneln« - eine Fehlkalkulation, wie sich herausstellte. Mittlerweile strebt ein bedeutend höherer Anteil eines Jahrgangs eine akademische Ausbildung an. Dadurch wurde der Effekt der rückläufigen Geburtenziffern mehr als ausgeglichen. Heute ist es daher fast ein geflügeltes Wort geworden, daß die solchermaßen »untertunnelten« Hochschulen über kurz oder lang zusammenbrechen werden. Schätzungen gehen davon aus, daß mit dem heutigen Bildungsbudget von Bund und Ländern nur für die Hälfte der Studierenden tatsächlich ein Studienplatz zur Verfügung steht. Dementsprechend restriktiv wird inzwischen der Zugang beschränkt. Zahlreiche Studiengänge haben inzwischen einen Numerus Clausus mit einer Eins vor dem Komma. Das »Zeugnis der allgemeinen Hochschulreife« allein berechtigt also noch zu gar nichts. Zum Teil wird der Numerus Clausus mittlerweile auch ganz bewußt als Instrument zur Schrumpfung von Hochschulen eingesetzt. Ungeliebte Fachbereiche können mit einer hohen Zugangsberechtigung so geleert werden, daß ihre Aufrechterhaltung schließlich nicht mehr zu rechtfertigen ist.

Dies zeigt deutlich, daß - entgegen dem historischen Ablauf - heute kaum noch von einer Unterfinanzierung der Hochschule gesprochen wird, sondern nur noch von einer Überfüllung. Es gibt zu viele Studierende, so die landläufige Meinung. Diese Einschätzung steht in Wechselwirkung zu einem immer mehr ökonomisierten Bildungsbegriff (siehe A.2: Eindimensionalität). Die Folgen daraus sind weitere Beschneidungen des Hochschulzugangsrechts. Prominentestes Beispiel ist hier die immer wieder geschürte Diskussion um die Einführung von Studiengebühren (siehe D.2: Studiengebühren). Daneben sind aber auch neue Selektionsmechanismen zu beachten. Die Regelung des neuen Hochschulrahmengesetzes sieht zum Beispiel vor, daß Hochschulen zukünftig 20 % der BewerberInnen in N.C.-Studiengängen selbst auswählen dürfen, unabhängig von der Abiturnote.

Diese Maßnahme bedeutet den vorläufigen Höhepunkt des Abrückens von egalitären Ansätzen der Bildungspolitik. Die soziale Selektion wird durch persönliche Auswahltests noch weiter verstärkt. Das ist schon verfassungsrechtlich bedenklich (Art. 12 GG - freie Wahl der Ausbildungsstätte). Besonders im Zusammenhang mit der leistungsbezogenen Finanzierung der Hochschulen bedeutet dies einen weiteren Schritt weg von egalitärer Bildungspolitik. Hochschulen werden sich die Klientel aussuchen, die potentiell am schnellsten ihr Studium beendet, also diejenigen mit starker finanzieller Rückendeckung.

Dies ist weder in ökonomischer noch in demokratischer Hinsicht sinnvoll. Vergleicht man den Anteil von Studierenden pro Jahrgang hierzulande mit anderen Volkswirtschaften, so ist liegt Deutschland am unteren Ende der Tabelle. Gleiches gilt für die staatlichen Bildungsausgaben in Relation zum Brutto-Sozial-Produkt. Fast alle WirtschaftswissenschaftlerInnen sind sich aber einig, daß in Zukunft bei einem weiteren Ausbau qualifizierter Dienstleistungen eher mehr AkademikerInnen gebraucht werden als weniger. Noch zentraler ist jedoch die Frage, wie sich ein demokratischer Staat weiterentwickeln soll, wenn er den Bereich vernachlässigt, der die Kritikfähigkeit und das Verantwortungsbewußtsein jeder/jedes Einzelnen prägt: die Bildung.

Anforderungen an ein im Sinne gesellschaftlicher Entwicklung effizientes Bildungssystems wären im Bereich des Hochschulzugangs also:

Die Kompetenzen, solche Maßnahmen umzusetzen, liegen zum überwiegenden Teil beim Bund. Dementsprechend äußert sich der Referentenentwurf in § 66 zur Qualifikation nur im Rahmen der Bundesgesetzgebung. Allerdings sollte das Landeshochschulgesetz einen Passus enthalten, der für Nordrhein-Westfalen die Möglichkeit hochschulinterner Auswahlverfahren ausschließt. Der Referentenentwurf nennt die Möglichkeit, über dem Abitur »gleichwertige Qualifikationen« Zugang zur Hochschule zu erlangen. Nähere Ausführungen macht das Gesetz hier nicht. In jedem Fall sollte sichergestellt werden, daß nicht nur berufsqualifizierende Leistungen unter diese Kategorie fallen, sondern auch beispielsweise ehrenamtliche Tätigkeiten Berücksichtigung finden. So kann zum Beispiel das Engagement in politischen, karitativen Organisationen oder in didaktischen Feldern durchaus nötige Sachkenntnisse vermitteln, die für ein Studium in speziellen Studiengängen (Politikwissenschaft, Pädagogik, Sportwissenschaft etc.) viel eher befähigen als das Abitur.

Insgesamt gilt: Ein gesellschaftlich verantwortetes Bildungssystem muß öffentlich finanziert werden. In einem öffentlich finanzierten Bildungssystem muß der Zugang öffentlich geregelt werden. Nur ein öffentlicher Zugang garantiert auf Dauer die gesellschaftliche Anbindung.


C.9 Frauenförderung/Gleichstellung

Im Referentenentwurf sind die Interessen von Frauen und der Verfassungsauftrag zur aktiven Gleichstellung von Frauen im Bereich der Hochschulen weitgehend unberücksichtigt geblieben. Das Problem ist bekannt, trotz steigender Zahlen von Studienanfängerinnen sinkt der Frauenanteil mit jeder Qualifikationsstufe deutlich. Zwar ist die Zahl der Professorinnen um rund ein Drittel gestiegen, dennoch ist ihre Anzahl vernachlässigbar gering. In Zahlen ausgedrückt heißt es, daß bei einer Gesamtzahl von 37.000 ProfessorInnen nur 3.300 Frauen zu finden sind. Etablierte Männerseilschaften behindern häufig die wissenschaftliche Karriere von Frauen, während in vielen internen Dienstleistungsbereichen der Hochschulen der Betrieb ohne die Beschäftigung von Frauen nicht aufrechterhalten werden könnte. Die einseitige Ausrichtung der wissenschaftlichen Laufbahn an der männlichen Berufsbiographie hat vielfach die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an der Wissenschaft behindert. Wissenschaft als Beruf muß auch in spezifisch weiblichen Lebenslagen und bei weiblicher Lebensplanung möglich sein. Der Initiationsritus der Habilitation, die großen Schwierigkeiten eines Wiedereinstiegs ins Wissenschaftssystem nach einer familiären Pause und das mißtrauische Beäugen von Frauenforschung sind nur einige Beispiele für die erheblichen Benachteiligungen von Frauen in den Hochschulen.

Ohne einen qualitativen Sprung bei der Aufhebung der Benachteiligung von Frauen in allen Bereichen und auf allen Ebenen verfehlt die Reform ihren Zweck. Alles, was über die Einbindung der Hochschulen in die Bewältigung von Zukunftsaufgaben zu formulieren ist, stimmt nur zur Hälfte, wenn die Hochschulen nicht selbst die Aufhebung der Frauenbenachteiligung zu einem Teil ihrer strukturellen und inhaltlichen Selbsterneuerung machen. Gleichzeitig steht in den Hochschulen ein Generationswechsel an - in den nächsten Jahren werden annähernd die Hälfte aller Professuren neu zu besetzen sein. Diese Chance zur aktiven Frauenförderung muß genutzt werden, aber nicht so zaghaft, wie es der Referentenentwurf angeht.

Der Ansatz, die staatliche Finanzierung der Hochschulen auch an die Maßnahmen zur »Erfüllung des Gleichstellungsauftrages« zu koppeln, ist richtig, greift aber im Gesetzesentwurf nicht weit genug. Erforderlich wäre die Erstellung von Frauenförderplänen mit konkreten Zielvorgaben, bei deren Erfüllung staatliche Gelder fließen, zusätzlich zu einer Grundfinanzierung, woraus beispielsweise die Stelle und das Büro der Gleichstellungsbeauftragten finanziert wird. Im Anfangsstadium sollte eine Aufbaufinanzierung einer »frauengerechten« Infrastruktur an den Hochschulen erfolgen, die weitere Finanzierung könnte auch projektorientiert erfolgen (siehe D.1.: Hochschulfinanzierung).

Die Erfüllung der Zielvorgaben aus den Frauenförderplänen sollte evaluiert werden. Dies ist in weiten Teilen fast aufkommensneutral zu realisieren, da die Hochschulen alle notwendigen Daten bereits heute erheben. An die Ergebnisse dieser Evaluation kann auch die Vergabe von zusätzlichen Mitteln aus dem Landeshaushalt geknüpft werden. Grundsätzlich ist eine solche Verkopplung von Evaluation und Mittelvergabe abzulehnen, da sich auf Inhalte des Wissenschaftsbetriebs auf diese Weise keine sinnvollen Steuerungsimpulse ausüben lassen (siehe C.10: Evaluation). Die Benachteiligung von Frauen ist jedoch ein rein strukturelles Problem, welches quer durch alle Fachrichtungen und Organisationsebenen der Hochschulen in ähnlicher Form besteht, und deshalb nach relativ eindeutigen Kriterien evaluiert werden kann.

Beispiele einer projektorientierten Finanzierung zur Frauenförderung wären die Vergabe von Stipendien an Nachwuchswissenschaftlerinnen, Weiterbildungsprogramme für Wissenschaftlerinnen und Mitarbeiterinnen, die Einrichtung hochschuleigener Kindertagesstätten oder die Förderung von Frauenstudien und Frauenforschung an Hochschulen. Vor allen Dingen kann bei den Projekten die Situation der einzelnen Hochschulen berücksichtigt werden, indem die Hochschulen und die Fachbereiche die Projekte selbständig entwickeln.

Weiterhin sollten die oben genannten Frauenförderpläne Zielvorgaben enthalten, die verbindliche Quoten festlegen, beispielsweise bei Abschlüssen und weiteren Qualifikationen. Eine Vorreiterrolle hat in diesem Bereich die Freie Universität (FU) Berlin, wo seit 1995 ein Anreizsystem zur Frauenförderung besteht. Dieses Anreizsystem ist eines der Mittel zur Frauenförderung, es beschränkt sich auf meßbare und vergleichbare Kriterien, wie etwa auf die Anzahl der von Frauen absolvierten Abschlüsse auf den verschiedenen Qualifikationsstufen. Besondere Priorität genießen dabei Habilitationen und Berufungen. Damit die Geldleistungen nicht willkürlich bemessen werden, findet ein Bezug zur vorhergehenden Qualifikationsstufe statt: Promotionen werden in Bezug zu Absolventinnen gesetzt, Habilitationen in Bezug zu Promotionen und Neuberufungen von Frauen werden in Bezug gesetzt zu Neuberufenen insgesamt. Wichtig ist jedoch, daß die öffentlichen Mittelzuweisungen auch an die Frauenförderungsmaßnahmen gebunden werden, um einen Anreiz zu schaffen. Ein solches Anreizsystem sollte jedoch nur ein Instrument unter vielen zur aktiven Frauenförderung sein.

Eine weitere zu ergreifende Maßnahme besteht in der Stärkung der Stellung der Gleichstellungsbeauftragten. Die Gleichstellungsbeauftragte der Hochschule wird von der Gleichstellungskommission des Senates gewählt, diese setzt sich aus zwei Vertreterinnen jeder Gruppe zusammen. Gleichstellungsbeauftragte können alle weiblichen Mitglieder der Universität werden, sie muß nicht der Gleichstellungskommission angehören. Falls es sich um eine Studentin handelt, ist sie entsprechend finanziell abzusichern. Wir begrüßen die Einrichtung einer Senatskommission, die sich mit Gleichstellungsfragen befaßt. Ihre Mitglieder sind nur Frauen, die Gleichstellungsbeauftragte übernimmt den Vorsitz. Stellvertreterinnen der hauptamtlichen Gleichstellungsbeauftragten können aus allen Statusgruppen kommen (nebenamtlich, Studentinnen dann mit Vergütung), weitere nebenamtliche Beauftragte sollen auf Fachbereichsebene eingesetzt werden. Diese werden von allen weiblichen Mitgliedern des Fachbereichs alle zwei Jahre gewählt; handelt es sich hierbei um eine Studentin ist sie ebenfalls finanziell abzusichern, die Amtszeit reduziert sich dann auf ein Jahr. Die Gleichstellungsbeauftragten der Fachbereiche nehmen mit beratender Stimme an der Gleichstellungskommission teil.

Sie wirken insbesondere - zusammen mit der Gleichstellungskommission des Senates - mit bei der Erstellung des Frauenförderplans, bei Personalmaßnahmen, bei der Verbesserung der Lebens-, Arbeits- und Studiensituation, sowie der Beratung der Frauen der Hochschule. Weitere Rechte: Informations-, Teilnahme-, Rede- und Antragsrecht der hauptamtlichen Gleichstellungsbeauftragten in allen Gremien, Vetorecht mit aufschiebender Wirkung. Die Gleichstellungsbeauftragte und ihre Stellvertreterinnen sind an allen die Frauen der Hochschule betreffenden Angelegenheiten zu beteiligen und begleiten die Umsetzung der Maßnahmen zur Frauenförderung.

Um diese Vielfalt von Aufgaben zu bewältigen, sollten sie materiell und personell bedarfsgerecht ausgestattet werden.

Bei der Besetzung von Gremien sollte auch der Grundsatz der geschlechtsparitätischen Besetzung gemäß § 12 des Landesgleichstellunggesetzes (LGG) gelten, wo dieses nicht möglich ist, ohne die aktiven Frauen zu überlasten, sind andere Quotierungen vorzusehen. Die Quote ist aufgrund des prozentuellen Frauenanteiles der jeweiligen Hochschule zu berechnen. Entscheidungen über eine solche Quotierung obliegen dem Gleichstellungsausschuß des Senats. Die Quote wird doppelt so hoch angesetzt, wie der prozentuelle Frauenanteil. Ab einem Frauenanteil über 25 % werden die Gremien geschlechtsparitätisch besetzt.

C.10 Evaluation

§ 4 des Referentenentwurfs zum HG NW führt die Evaluation als neue Aufgabe der Hochschulen ein. In der Kommentierung heißt es dazu: »Im Zuge des Abbaus staatlicher Regelungsbefugnisse muß auf Instrumente zurückgegriffen werden, die die Selbststeuerung und Qualitätssicherung der Hochschulen gewährleisten.« Während bisher im Zuge der nicht nur exekutiven Stärkung von Rektorat und Dekanat beide als »für die Durchführung der Evaluation verantwortlich« vorgesehen sind (§ 20 Abs. 1 Satz 4, § 27 Abs. 1 Satz 2), gilt es demgegenüber im neuen Gesetz festzuschreiben, daß die Evaluation in der Verantwortung der Gremien (Senat, vor allem Fachbereichsrat) gestaltet, durchgeführt und ausgewertet wird.

Evaluation darf dabei nicht als weitere Bürokratisierung, im schlimmsten Falle in Form einer/eines »Evaluationsbeauftragten«, nicht als erweiterte Lehrberichte oder kurzsichtige Managementaufgabe des Dekanats bzw. Rektorats verstanden werden, wie es im bisherigen Gesetzentwurf anklingt. Statt dessen soll sie ein Instrument zu einer selbstkritischen Reflexion des Faches über die eigenen Stärken und Schwächen sein:

Wird eine zweigeteilte Evaluation vorgesehen in Form eines Selbstberichtes des Faches und einer darauffolgenden externen Begutachtung, so bietet sie die bestmögliche Grundlage für die Entwicklungspläne des Fachbereiches. Im bisherigen Gesetzentwurf waren Rektorat und Dekanat vorgesehen für die Erarbeitung dieses Entwicklungsplanes (§ 20 Abs. 1 Satz 2, § 27 Abs. 1 Satz 2). Weil das Interesse der Fächer und ihrer MitarbeiterInnen auf Dekanats- und Rektoratsebene weniger gut beurteilt werden kann, bleibt eine Evaluation in deren Zuständigkeit immer in der Gefahr, ein bloßes Konzentrations- und Ausdünnungsmittel zu werden.

Wenn hingegen alle in den Gremien vertretenen Gruppen dezentral an allen Stufen der Evaluation demokratisch und gestaltend beteiligt sind, fließt die Erfahrung und die Kritik aller in den Selbstbericht ein, und das vorhandene Entwicklungspotential wird in seiner ganzen Breite ausgeschöpft. Probleme, die in der bisherigen Universitätsrealität totgeschwiegen werden konnten, müssen nun - unter dem Druck der externen Begutachtung - thematisiert und Lösungsansätze gefunden werden. Die Evaluation fordert und fördert damit den Dialog sowohl zwischen den Gruppen der Universität als auch zwischen den - mitunter nur unzulänglich kooperierenden - Instituten eines Fachbereiches (z.B. bei der gemeinsamen Nutzung der Infrastruktur wie CIP-Pools, Bibliotheken, Werkstätten etc.).

Das Verfahren der Evaluation:

Die Evaluation erfolgt sinnvollerweise landesweit für das jeweilige Fach. Die Fächer erstellen einen Selbstbericht über Kapazitäten, Auslastung und Infrastruktur, über die Studien- und Lehrsituation sowie die Forschungsgebiete. Insbesondere behandeln sie auch die bisher vernachlässigten unangenehmen Themen wie z.B. die AbbrecherInnenquoten und deren Höhe im landesweiten Vergleich und nehmen zu den aufgefundenen Defiziten Stellung.

Offene Kritik innerhalb einer kleinen Gruppe, in der sich die Mitglieder alle persönlich kennen, setzt Anonymität der Kritik voraus. Es empfiehlt sich deshalb vorzusehen, daß alle MitarbeiterInnen und die Studierenden eines Faches vor der Anfertigung des Selbstberichtes anonym - z.B. mit Fragebögen - nach bestehenden Problembereichen befragt, die Ergebnisse ausgewertet und innerhalb des Fachbereiches veröffentlicht werden. Anhand dieser Kritik würde die oben beschriebene Bestandsaufnahme des Faches erfolgen und zugleich würden 'runde Tische' mit VertreterInnen aller Gruppen Konzepte erarbeiten, um so die aufgefundenen Probleme sinnvoll zu lösen.

Über die Gestaltung der fachbereichsinternen Fragebögen und die Form des Selbstberichtes entscheiden die Mitglieder des Fachbereiches selbst, genügend Beispiele dafür gibt es in der Literatur. Frageleitfäden und ähnliches dürfen weder für die Konzipierung des Selbstberichtes noch für die anonyme Befragung der Mitglieder des Faches vorgegeben sein, da die Auswahl der Fragen und die Art der Fragestellung zu stark Einfluß auf die Ergebnisse nähme.

An den Selbstbericht schließt sich eine externe Evaluation an, die im wesentlichen die Ergebnisse der internen Evaluation prüft und im Vergleich mit den Evaluationsergebnissen anderer Hochschulen Vorschläge zu einer individuell auf die Belange der jeweiligen Hochschule abgestimmten Strukturentwicklung macht. Dabei darf darunter nicht das bisher praktizierte oberflächliche Review-Verfahren verstanden werden, bei dem die Gutachter innerhalb einer Woche das Fach an vier verschiedenen Universitäten evaluieren.

Für die Gutachterkommission sollen dabei nicht nur HochschullehrerInnen vorgesehen sein, sondern sie muß sich aus allen Gruppen der Hochschule zusammensetzen, in einer Weise, daß sie die einzelnen Teilgebiete eines Faches als möglichst breites Spektrum abdeckt. Darüber hinaus ist es sinnvoll, außeruniversitäre Fachleute an der externen Evaluation zu beteiligen.

Evaluationen sollten sinnvollerweise in einem Zeittakt von fünf Jahren vorgesehen sein. Zudem sollten die Fächer zwei Jahre nach dem Bericht der Gutachterkommission einen Rechenschaftsbericht über die ggf. erfolgten Änderungen ablegen. Diesen Bericht erhalten die Hochschulleitung, das noch zu schaffende Kuratorium, das die Evaluation betreuende landesweite Kuratorium und das Ministerium.

Gegenstände der Evaluation:

Bei der Frage, was die Gegenstände der Evaluation sein sollen, besteht eine Differenzierungsnotwendigkeit, auf die der Referentenentwurf ungenügend eingeht, wenn es dort heißt: "Die Leistungen der Hochschule bei der Erfüllung der Aufgaben nach § 3 insbesondere der Forschung und Lehre, bei der Förderung der wissenschaftlichen Nachwuchses und der Gleichstellung der Frauen und Männern werden regelmäßig bewertet." (§ 4 Abs. 1 Satz 1).

Innerhalb der Evaluation der Lehre der einzelnen Fächer sind studentische Lehrveranstaltungskritiken vorzusehen. Diese sollen dabei von den Studierenden geplant und durchgeführt sein und veröffentlicht werden, wofür Gelder bereitzustellen sind. Dies garantiert eine von EntscheidungsträgerInnen unabhängige Perspektive auf die Studiensituation des Faches und auf das Verhältnis zwischen Studierenden und DozentInnen.

Wie es die Erfahrung der Zentralen Evaluationsagentur (ZEvA) in Niedersachsen zeigt, fließen Gleichstellungsfragen, Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und die Forschungssituation in den Selbstbericht und den externen Gutachterbericht ein, ohne dabei abgetrennt betrachtet zu werden. Eine planmäßige Evaluation der Forschung wäre extrem aufwendig und strukturell sehr problematisch. Wollte man sie durchführen, wären zum einen Spezialisten aller Teilrichtungen einer Disziplin in jeder Gutachtergruppe erforderlich; zum anderen unterliegen die Maßstäbe für die Bewertung des Innovativen der herrschenden und der Mode unterworfenen Lehr- und Forschungsmeinung. Den Fortschritt in der Wissenschaft begründen aber meist jene Forschungsgruppen, die jenseits des Mainstreams arbeiten. Indem diese bei einer Forschungsevaluierung wahrscheinlich benachteiligt würden, könnte Evaluation geradezu eine Bremse für die Entwicklungspotentiale werden.

Im Zuge der Verlagerung der Entscheidungsprozesse zurück in die Gremien, obliegt der Verwaltung nur noch die zügige und kompetente Umsetzung der Beschlüsse der Gremien. Aus diesem Grunde muß auch die Verwaltungsarbeit Gegenstand von Evaluationen sein; diese Evaluationen erfolgen sowohl auf der Ebene der Fachbereiche (und dabei innerhalb der Evaluation der Fächer) als auch - getrennt davon - auf der Ebene der zentralen Universitätsverwaltung.

Wo die Evaluation als neue Aufgabe der Hochschulen eingeführt wird, können die Mitglieder der Hochschulen dies bei der derzeitigen Überlastung nicht ohne zusätzliche Finanzmittel leisten. Der Referentenentwurf spart diese Frage aus. Im Sinne der zuvor skizzierten Gremienarbeit sollten die Zusatzmittel nicht dem Aufbau einer neuen bürokratischen Infrastruktur dienen, sondern zur Entlastung der Gremienmitglieder eingesetzt werden. Die damit einhergehende Aufstockung des wissenschaftlichen Personals dient zugleich der Qualitätsverbesserung in Lehre, Forschung und Selbstverwaltung.

Eine landesweite Evaluationsagentur (nach dem Muster der niedersächsischen ZEvA) unter der Aufsicht des Landeskuratoriums käme dann mit relativ wenigen Mitteln aus und diente vor allem der zeitlichen Koordinierung der Evaluation sowie der organisatorischen Planung der externen Evaluation.

»Die Ergebnisse der Bewertungen werden veröffentlicht« (§ 4 Abs. 2). Eine bislang nur in der Kommentierung stehende, aber im Gesetz notwendige Differenzierung hat klarzustellen, daß die Veröffentlichung nicht nur innerhalb der Hochschulen erfolgt, sondern auch dem Gebot der Rechenschaftslegung gegenüber Staat und Gesellschaft dient. Transparenz und eine inhalts- und problemorientierte Arbeit setzen voraus, daß die Selbstverwaltungsgremien - wo immer personalrechtlich und datenschutzrechtlich möglich - öffentlich tagen.

Das oben beschriebene Evaluationsverfahren vermittelt einen guten Überblick über die landesweite Situation des Faches. Mittelfristig läßt es Strukturentscheidungen bis hin zu Fachbereichsschließungen für einzelne Fächer zu. Diese Entscheidungen sollen jedoch erst nach der Durchführung zweier Evaluationsverfahren des jeweiligen Faches von einem - noch zu schaffenden - landesweiten Kuratorium in Absprache mit dem Ministerium getroffen werden.

Evaluation darf allerdings nicht vorschnell als Grundlage der leistungsorientierten Finanzierung der Hochschulen vorgesehen werden, wie es aus dem Zusammenspiel von § 4 Abs. 1 und § 6 Abs. des Referentenentwurfs abzulesen ist. »Die staatliche Finanzierung der Hochschule erfolgt nach den bei der Erfüllung ihrer Aufgaben erbrachten Leistungen« (§ 6 Abs. 1 Satz 1). Welche Kriterien dem Begriff 'Leistungen' dabei zugrundegelegt werden, wird nicht spezifiziert. Eine klare und sinnvolle Regelung, anhand welcher Evaluationsergebnisse Gelder den Fachbereichen zugewiesen werden sollen, kann es im komplizierten System der Hochschulen nicht geben. Beispielsweise können weder die Anzahl der AbsolventInnen noch die Forschungsergebnisse ein Kriterium darstellen; ersteres gefährdet potentiell die Ausbildungsqualität, weil mehr Studierende "hindurchgeschleust" werden, letzteres gefährdet die wirklich Perspektiven öffnende, nicht auf kurzfristige Ergebnisse ausgerichtete Forschung. Alle pauschalen Kriterien der Hochschulfinanzierung stellen automatisch Medianwerte aller Meinungen dar und werden der Individualität der Fachbereiche nicht gerecht (zu einer alternativen Möglichkeit der Finanzierung siehe D.1: Hochschulfinanzierung)

Des weiteren setzt jede Evaluation voraus, daß die Daten von dem jeweiligen Fach möglichst objektiv erhoben werden können. Ist mit dem Ergebnis unmittelbar eine leistungsorientierte Mittelvergabe verbunden, so ist diese gewünschte Objektivität nicht gewährleistet, da im Sinne des Selbstschutzes ein unbedingtes Interesse an positiven Evaluationsergebnissen bestehen muß. Die selbstkritische Auseinandersetzung mit der eigenen Arbeit würde somit bestraft.

Jegliche Form der Akkreditierung von Hochschulen oder einzelner ihrer Fächer läuft Gefahr, die Autonomie der Hochschule und die Wissenschaftsfreiheit mittelfristig aufzugeben, indem sie die Hochschulen den Kriterien einer Akkreditierungsagentur unterwirft. Geschlossenes und einvernehmliches Auftreten der Fächer bei der Akkreditierung unterbindet den selbstkritischen Diskurs, in dem gegensätzliche Meinungen und Reformansätze thematisiert werden. Das gegenseitige Ausspielen der Hochschulen unter Konkurrenzgesichtspunkten, im extremsten Falle in Form eines akkreditierten Rankings, gefährdet die langfristige Reformfähigkeit und die Arbeit der Hochschulen für die Gesellschaft. Durch die damit mittelfristig einsetzende horizontale Schichtung der Hochschulen würde aus dem vorgeblichen Ziel der Sicherung von Mindeststandards eine Mehrklassen-Bildung. Das oben beschriebene Evaluationsverfahren innerhalb demokratischer Entscheidungsstrukturen bringt dagegen Reformprozesse dauerhaft in Gang. So ist im Landesgesetz festzuschreiben, daß nordrhein-westfälische Hochschulen an Akkreditierungsverfahren wie denen beim Nordverbund oder dem Verbund der Technischen Universitäten, z.B. zur Festlegung der Eckdaten für ein Bachelor- oder Masterstudium, nicht teilnehmen dürfen: Nötiges Geld für die Arbeit der Hochschulen ginge unnötig an Akkreditierungsinstitutionen verloren.

Es gilt in allen Gruppen der Hochschulangehörigen die für eine sinnvolle Durchführung der Evaluation notwendige Akzeptanz und Mitarbeit aufzubauen. Bei den mit jeder Evaluation einhergehenden Eingriffen in die Freiheit von Forschung und Lehre ist dies nur zu erreichen, wenn die Evaluation vor allem und in erster Linie den Belangen der Hochschule Sorge trägt. Der vorliegende Entwurf zum HG NW leistet dies noch nicht in ausreichendem Maße.

D. Notwendige Rahmenbedingungen

D.1 Hochschulfinanzierung

Der Referentenentwurf zum Landeshochschulgesetz enthält vor allem im Bereich der Mittelvergabe und Hochschulfinanzierung Änderungen, wie bei der schon seit Jahren prognostizierten Finanzmisere nicht anders zu erwarten. So definiere sich die Hochschulfinanzierung nicht mehr am Bedarf, sondern an Leistungsmaßstäben, »d.h. einer an Belastungs- und Erfolgskritierien orientierten Verteilung der vom Haushaltsgesetzgeber den Hochschulen zur Verfügung gestellten Mittel«; er regelt also das Verteilungsverfahren, ohne auf die Bestimmung des Haushaltsvolumens Einfluß zu nehmen. Schon in der Kommentierung des §6 - eine aus dem Entwurf für das Hochschulrahmengesetz des Bundes übernommene Regelung - wird somit die Marschroute vorgegeben, die Unternehmensstrukturen an der Hochschule zu verwirklichen versucht. Doch was als Autonomie verkauft werden soll, endet abrupt, wenn es um die Verteilung der Gelder unter den Hochschulen geht. Das Land hat damit das entscheidende Steuerungsinstrument, das Restriktionen Tor und Tür öffnet. Anzustreben wäre eher eine Verteilung, die durch demokratische Entscheidungsstrukturen, Beteiligung der Hochschulen und Transparenz gekennzeichnet ist.

Leistungsorientierung, die sich inhaltlich an der Durchführung und Finanzierung von Forschungs-, Lehr- und Weiterbildungsprojekten zu bemessen hätte, wird im § 6 Abs. 2 mit äußeren, statistischen Daten (AbsolventInnenzahlen) identifiziert, um von dem eigentlichen Mißstand abzulenken, der längst bekannt ist: die chronische Unterfinanzierung der Hochschulen soll der Effizienz weichen, einer Effizienz des besser verwalteten Mangels. Gerade deshalb ist die Ausweitung der Globalhaushalte nicht als Autonomie fördernd, sondern verhindernd zu beurteilen: eine dauerhaft bedarfsgerechte Finanzierung, die weit über die momentane Summe hinausgeht und ein feststehender Sockel sein müßte, kann durch ein scheinbares Allheilmittel »Globalhaushalt« nicht ausgeglichen werden. Flexibilität kann nur mit einer sicheren Basisfinanzierung funktionieren. Die Gefahr einer falsch verstandenen Flexibilität wird besonders durch einen absehbaren Teufelskreis verstärkt: Wird eine Leistung nicht erbracht - an den Hochschulen zumeist aus Gründen unzureichender Finanzierung und fehlender Planungssicherheit -, folgt daraus eine Einschränkung der Mittel für diese Betriebseinheit, die dann wieder schlechtere Ausgangsbedingungen für die Leistungsmöglichkeit bedingt. Das könnte dazu führen, daß einzelne Betriebseinheiten systematisch kaputt gespart werden.

"Haushaltsgesetzgeber und Landesgesetzgeber und Landesregierung sind nicht daran gehindert, neben den in den Hochschulkapiteln nach Leistungsgesichtspunkten etatisierten Mitteln im Rahmen des für Wissenschaft und Forschung zur Verfügung gestellten Etats weitere Mittel auch aus hochschulpolitischen, volkswirtschaftlichen, arbeitsmarktpolitischen oder industriepolitischen Gründen an die Hochschulen zu geben." Die Erläuterungen zum § 6 bestätigen dann auch die strukturelle Gefahr der Austrocknung der Hochschulen, indem nämlich die politischen Gremien zusätzliche Mittel nach eigenen Kriterien vergeben können, werden die Haushalte in Frage gestellt; sollte das Globalhaushalte-Modell nicht funktionieren - wie es sich in Teilen schon an der WWU Münster im Haushaltsjahr 1998 mehr als deutlich gezeigt hat -, hält sich damit das Land eine Hintertür offen. Es wäre so ohne weiteres möglich, die Haushalte auf ein Minimum zu reduzieren und die besonderen Posten auszuweiten, der großzügig versprochenen Hochschulautonomie widersprechend. Die scheinbar positive Formulierung birgt in ihrer Strukturierung ein negatives Sanktionssystem. Dies ließe sich nur mit einer Zieländerung verhindern, indem neben der Sockelfinanzierung eine Projektförderung im Rahmen der Globalhaushalte erfolgt, die demokratisch über einen Senatsausschuß und die Kontrolle durch ein anders strukturiertes Kuratorium funktionieren könnte (siehe B.2: Das Kuratorium). Vorteil eines solchen Konzeptes wäre auch die Zukunftsausrichtung, sich nämlich nicht am Bestehenden entlangzuhangeln, sondern das Mögliche zum Gradmesser zusätzlicher Finanzierung zu machen.

Der zweite Absatz des §6 setzt dann systematisch das falsche Zeichen; dadurch, daß Finanzierung nicht mehr inhaltlich geschehen, sondern unternehmerischen, verwaltungstechnischen Prinzipien gehorchen soll. Ein Repressionsmodell, in dem der Hochschulleitung die Macht zur Effektivierung gegeben ist, ohne daß sie auf die übergeordnete politische Ebene Einfluß nehmen könnte. Damit ist ein System geschaffen, das weniger die Autonomie unterstützt als vielmehr eine Mittlerrolle des Rektorats festsetzt, die jedoch weniger Selbständigkeit für die Hochschulen bedeutet als eine Bringschuld der Hochschulen strukturell bestimmt. Darüber hinaus ziehen Leistungs- und Kostenrechnungen in diesem Ausmaß Kraft für die Hauptaufgaben der Hochschulen (Forschung, Lehre und Weiterbildung) ab. Ähnlich erweist sich auch die Datenerhebung im §4 als Gefahr, da sie nicht für die Verbesserung von Forschung, Lehre und der innerinstitutionellen Kommunikation, sondern für die betriebswirtschaftliche Auswertung genutzt werden soll. Dies dürfte nicht zuletzt auf die Ehrlichkeit der Befragten zurückstrahlen und dem angestrebten Ziel ein starkes strategisches Handeln entgegenstellen.

Besonders der §102 (Beitrag zum Haushaltsvoranschlag) und der §103 (Verteilung der Haushaltsmittel) sind als Kernpunkte des neu konzipierten Landeshochschulgesetzes zu betrachten: es "wird die Beratung des Beitrags durch das Rektorat, aber nicht mehr durch die Kommission für Planung und Finanzen vorgeschrieben; dies entspricht der gestärkten Stellung des Rektorates bei der hochschulinternen Mittelverteilung. (...) Die Kontrollfunktion des Senates verlagert sich dabei von der prospektiven Aufstellung des Beitrags zum Haushaltsvoranschlag zur retrospektiven Bewertung des Leistungsgeschehens." Die falsche Perspektive läßt sich in zweifacher Weise beschreiben: einerseits vermag die neue Entscheidungsstruktur nicht, der sonst behaupteten Demokratisierung zu genügen, sie enthält andererseits aber auch den falschen Maßstab, weil nicht das Mögliche, sondern das Vorhandene gemessen wird. Sowohl auf Fachbereichs- wie auf Hochschulebene wäre dementgegen ein Drei-Stufen-Modell der Planfeststellung und Mittelverteilung zu wählen. Zunächst wäre durch die Kommission für Planung und Finanzen (vgl. § 22) ein Haushaltsplan zu entwerfen, der im zweiten Schritt durch den Senat beschlossen würde, um dann durch das Rektorat durchgeführt zu werden. Eine solche Konzeption vermengte auch nicht Exekutiv- mit Legislativgewalt. Diesbezüglich wäre ebenso auszuschließen, daß ein Angehöriger des Rektorates die Kommission für Planung und Finanzen leiten kann. Analog könnte es auch auf die Fachbereichsebene übertragen werden (§103, Abs. 2), so daß der Dekan ausführende Kompetenzen besitzt, der Fachbereichsrat beschließt und ein vom FBR zu wählender Ausschuß die Mittelvergabe vorbereitet. Die Stärkung der Kommission auf der Hochschulebene und der FBR-Ausschüsse hätten darüber hinaus den Vorteil, daß nicht-beschließende Organe schon nach heute geltender Rechtsauffassung paritätisch besetzt sein können.

Ein heikler Punkt in der Hochschulfinanzierung ist die Drittmittelregelung (§101). Bedenklich wird sie vor allem dort, wo sie die demokratische Kontrolle durch die Hochschulorgane vermissen läßt: "Auf Antrag des Hochschulmitgliedes, das das Vorhaben durchführt, soll von der Verwaltung der Mittel durch die Hochschule abgesehen werden, sofern es mit den Bedingungen der oder des Dritten vereinbar ist; Satz 3 gilt in diesem Fall nicht." (§101, Abs. 4) Vergessen ist in dem eingeräumten Freiraum die gesellschaftliche Verantwortung, der die Hochschule unterliegt: der Nutzen von Forschung wird so einseitig den Drittmittelgebern zugerechnet, ohne daß die Freiheit von Forschung und Lehre dabei geschützt würde.

Als beispielhaft für die negativen Auswirkungen von Drittmitteleinwerbung auf die Lehre können hier die USA genannt werden. Dort führt die Anbindung von ProfessorInnenstellen und Projekten an die Wirtschaft zu einem Rückzug von hochschulinternen Aufgaben in Forschung und Lehre.

Zudem wird sich das in die Hochschulen fließende Wirtschaftskapital naturgemäß auf einige Fachrichtungen beschränken, deren Forschungen unmittelbar verwertbare Ergebnisse versprechen. Der Staat verstärkt diese ungleiche Behandlung noch, indem er die eingeworbenen Drittmittel seinerseits erhöht. Hierin wird das genannte Sanktionsmodell fortgeschrieben und eine »Mainstream-Wissenschaft« befördert.

D.2 Verbot von Studiengebühren

Wissen und Bildung kann und darf in einer demokratischen Gesellschaft nicht als Eigentum der Besitzenden angesehen werden. Kein Modell für Studiengebühren kann dem Anspruch sozialer Gerechtigkeit genügen, da nicht alle Studierenden die gleichen Möglichkeiten besitzen. Die Zahlungen werden dementsprechend auch bei sämtlichen Fonds- oder Kreditmodellen immer eine Benachteiligung der sozial Schwächeren beinhalten. Oftmals bedeutet das, was als verteilungsgerecht bezeichnet wird, nichts anderes als die gegenseitige Finanzierung der sozial Schwächeren mit zeitlichem Verzug.

Dementsprechend ist die Aufnahme des Studiengebührenverbots in das Gesetz äußerst positiv (§ 10). Dem Entwurf fehlt aber noch die genauere Definition, was unter Studiengebühren zu verstehen ist. In das Gesetz muß die Freiheit des Studierenden von Einschreibe-, Rückmeldungs- und Prüfungsgebühren festgelegt werden. Eine deutliche Absage muß den Gutschein-Modellen gemacht werden, weil diese die Probleme wie Arbeiten, Praktika, Studienortwechsel, Studienfachänderungen, Krankheiten usw. des/der einzelnen Studierenden nicht adäquat berücksichtigen. Zusatzqualifikationen, die als Pflichtkurse zählen, müssen grundsätzlich gebührenfrei sein. Insgesamt ließe es sich auf die Formel verkürzen, daß alle Aufgaben der Hochschulen gebührenfrei zu gestalten sind.

Unklar ist, wie sich das Wirrwarr der Studiengänge in §§ 84, 85, 88, 90 auf Studiengebühren auswirkt. Der Referentenentwurf nennt nebeneinander konsekutive und postgraduale Studiengänge, wobei nur erstere explizit von Studiengebühren ausgeschlossen wird. Dies ist besonders dort zu beanstanden, wo Diplom und Magister als postgraduale Studiengänge bezeichnet werden (§ 88 Abs. 1). Es bleibt zudem offen, ob die Ausbildung von Arbeitern und Angestellten im Gesetz schon als berufsqualifizierend angesehen wird, obwohl sie doch durch eine neue Öffnung (§ 66 Abs. 5) wieder leichter Zugang zu den Hochschulen finden sollen. Ein Gesetzestext muß hier Klartext schaffen. (siehe C.4 Studienabschlüsse).

E. Fazit: Einstieg in eine demokratische, nachhaltige und soziale Hochschulreform

Die Reform der Hochschulen ist an einem Scheideweg angekommen. In einem schleichenden Prozeß sind über viele Jahre die Prinzipien der Bildungsreform aus den siebziger Jahren zurückgenommen worden. Die finanzielle Unterversorgung hat dann ihrerseits dazu beigetragen, daß mit den Resten der Reform die Hochschulen heute kurz vor dem Kollaps stehen. Wie ein Zynismus empfinden es da viele Hochschulanghörige, wenn es inzwischen - in Anlehnung an die Regierungserklärung von Wolfgang Clement - auch aus Richtung des Ministeriums für Wissenschaft und Forschung heißt, »wir brauchen nicht ,mehr Geld für Reformen', sondern ,mehr Reformen fürs Geld'.« Diejenigen, die nun die Reform der Hochschulen fordern und darunter eine Anpassung an das ökonomische System verstehen, haben ihre Vorstellungen in Form von Gesetzesnovellen in Bund und Land vorgelegt. Doch wo eine nicht nur für die Hochschulpolitik richtungsweisende Entscheidung herbeizuführen ist, müssen in einer demokratischen Gesellschaft auch andere Konzepte berücksichtigt werden, solche, die die Richtung des Fortschritts ändern wollen, die demokratische Gestaltung der gesellschaftlichen Lebensbedingungen nach sozialen, ökologischen und kulturellen Zielen der bloßen Orientierung auf die Marktwirtschaft vorziehen. Die Studierendenproteste im Herbst 1997 haben deutlich gemacht, daß alternative Konzepte existieren. Diese aus den Hochschulen heraus erarbeiteten Konzepte müssen nun in den politischen Prozeß eingebracht werden und dort endlich Beachtung finden.

Das vorliegende Positionspapier versteht sich als Parteinahme für die Verwirklichung der sozial gerechten Gruppenuniversität. Nach dem über 50jährigen Bestand einer demokratischen Staatsform müssen jetzt endlich die Ansätze aus der ersten Bildungsreform im Sinne wirklich demokratischer Prinzipien umgesetzt werden.

Zukunft definiert sich in einer demokratischen Ordnung nicht, indem man Wenige ein kurzfristig erfolgreiches ökonomisches System (betriebswirtschaftliche Effizienz) auf Bereiche übertragen läßt, die langfristig auf Zukunftsfähigkeit ausgerichtet sein müssen, wenn sie ihrer gemeinsamen Verantwortung für globale Chancengleichheit und ökologischen Erhalt genügen wollen: die Hochschulen müssen sich »fit machen« für die Beantwortung der ökonomischen, sozialen und ökologischen Fragen von morgen. Dazu ist es erforderlich, daß sie nicht einfach nur Bestehendes übernehmen, sondern das heute Denkbare in demokratischer, ökologischer und sozialer Perspektive weiterentwickeln. Hochschulentwicklung muß darum zu einem Projekt gemacht werden, das in besonderer Weise auf Nachhaltigkeit hin perspektiviert ist. Das Gebot der Stunde ist darum: Mehr demokratische Reform durchsetzen. Entwicklungsarbeit dieser Art kann nicht vom Rotstift diktiert werden, das wäre schon ökonomisch ineffizient. Entwicklungsarbeit dieser Art braucht eine Aufbruchsstimmung, die ihre wichtigsten Impulse aus allen Gruppen an den Hochschulen gewinnt. Entwicklungsarbeit dieser Art bedarf der Chancengleichheit und Demokratie; beides muß die Grundlage für den Umbau der Hochschulen sein, der diese befähigt, die Initiative gegenüber der Bürokratie und der Wirtschaft zurückzugewinnen.

Die Schaffung eines Landeshochschulgesetzes für Nordrhein-Westfalen bietet die Möglichkeit, langfristig nachhaltige Reformanstrengungen im gerade skizzierten Sinne anzustoßen. Die differenzierte und ausgebaute Hochschullandschaft in NRW eignet sich dazu in besonderer Weise. Was hier seit den sechziger und siebziger Jahren entstanden ist, kann zu Recht als das ökonomisch erarbeitete ,Gründungskapital' für diejenigen gelten, die heute den Hochschulen angehören. Diese Struktur darf nicht leichtfertig im Sinne einer eindimensional betriebswirtschaftlich ausgerichteten Konzentrationspolitik zerschlagen werden. Aus dem in der Vergangenheit Geleisteten erwächst der besondere Reformanspruch an ein neues Landeshochschulgesetz Nordrhein-Westfalen. Will die Gesetzesnovelle diesem Anspruch gerecht werden, muß sie Verfahrensweisen und Entscheidungsstrukturen beschreiben, die Partizipation und Mitbestimmung aller Hochschulangehörigen und einen breiten Hochschulzugang fördern. Denn nur so ist ein gesellschaftlich getragenes Reform- und Aufbruchsklima möglich. Dabei gilt als Grundsatz: für die demokratischen Hochschulen in einer demokratischen Gesellschaft ist das Beste, was historisch an Demokratie ausgebildet werden konnte, als Basis für Zukünftiges gerade gut genug. Auf diese Weise wird der Forderung nach Deregulierung in einer Weise entsprochen, die den besonderen Bedingungen der Hochschulen erst gerecht wird. Dem jargonhaften Reden von Deregulierung, die dann in der Regel eine Entkoppelung der Hochschule von komplexen gesellschaftlichen Prozessen, die Reduzierung auf die Monokausalität betriebswirtschaftlicher Argumentation meint, treten wir entschieden entgegen. Deregulierung an den Hochschulen heißt für uns Befähigung zum demokratischen Selbsttun, kritisch begleitet von der Gesellschaft und diese selbst wieder kritisch begleitend. Ein solches Verständnis von Deregulierung basiert auf der weitgehenden Selbstverwaltung der Hochschulen, ist allerdings nicht auf diese eingeschränkt, sondern über die administrativen Ebenen hinaus auf Lehre, Forschung und die Weiterbildungsaufgaben ausgedehnt vorzustellen.

Als Leitbilder für eine demokratische Hochschulreform, wie wir sie mit diesem Positionspapier in Abgrenzung zum Referentenentwurf des Landeshochschulgesetzes in ihrer konkreten Funktionsweise dargestellt haben, erscheinen uns besonders wichtig:

Die »Projektgruppe Hochschulreform NRW« schlägt vor, die umfangreichen Reformbemühungen in kurz- und mittelfristige Maßnahmen zu unterscheiden. Die kurzfristigen Maßnahmen müssen den Einstieg in eine demokratische, nachhaltige und soziale Hochschulreform vorbereiten. Zu diesem Zweck definieren sie Rahmenbedingungen, welche die Handlungsblockierung der Hochschulen beseitigen helfen. Sie schaffen die Voraussetzung, damit die Hochschulreform jene Nachhaltigkeitsebene erreicht, welche durch die fortgeschrittene Bürokratisierung der Hochschulen verhindert wird. Zu den kurzfristigen Maßnahmen zählen:

Die mittelfristigen Maßnahmen führen die im Diskussionsprozeß konzipierte nachhaltige, soziale und demokratische Hochschulreform dann durch; sie umfassen die konkreten Ausformulierungen der Reformen und deren landesweite Etablierung. Ziel der Maßnahmen muß darüber hinaus eine Verstetigung des Reformprozesses sein, damit die Hochschulen auf Dauer die Befähigung zur gesellschaftlichen Avantgarde erhalten.

Die Gesellschaft braucht die Hochschulen wie die Hochschulen die Gesellschaft brauchen.